“Die Abschaffung des Todes” von Andreas ESCHBACH

Bewertung: 4 von 5.

Wenn man sich gerade mit den Zukunftsvisionen von KI beschäftigt und dazu die aktuellen Bücher von HARARI und KURZWEIL gelesen hat, kommt ESCHBACHs aktueller Roman wie gerufen – ist er doch eine direkte Übertragung der Pläne zu “Gehirn-Upload” und “Anti-Aging-Forschung” ins Fiktionale. Gerade in dieser Kombination ist man sich als Leser der Tatsache bewusst, dass die z.T. absurd futuristisch erscheinenden Perspektiven der “Abschaffung des Todes” keineswegs überspannte Science-Fiction-Fantasie darstellen, sondern konkrete wissenschaftliche Ziele beschreiben, in die aktuell Milliarden investiert wird.

Erzählt wird der Plot aus Sicht eines besonderen Journalisten: James Windover vertreibt mit seinem Recherche-Team von Amsterdam aus eine tägliche globale Analyse aller Ereignisse, Daten und Trends für eine ausgewählte kleine Gruppe von superreichen Wirtschaftsbossen und Entscheidern.
Ein Sonderauftrag reißt ihn aus seiner einträglichen Routine: Eine seiner besten Kundinnen schickt ihn in die USA, wo eine Firma Wagniskapital für eine spektakuläre neuro-digitale Innovation einsammeln will. Es geht um die nächste Stufe der KI-Revolution, an dessen Ende so etwas wie das “ewige Leben” locken könnte.
James soll die Geschäftsidee prüfen und so letztlich über die Investition von mehreren Milliarden Euro entscheiden. Ein ganz schöner Stress…

Wenn sich auch der weit aufgefächerte Handlungsfaden durch das ganze Buch (immerhin 650 S.) zieht, kann man doch grob eine Zweiteilung vornehmen: Während in der ersten Texthälfte viel Mühe und Raum darauf verwandt wird, sowohl die neurologischen und technologischen Grundlagen, als auch die philosophischen bzw. ethischen Implikationen der Lebensverlängerung durch Gehirn-Digitalisierung darzustellen, gewinnt im zweiten Teil der Thriller-Anteil zunehmend an Bedeutung. Je nach Interessenlage der Lesenden kann das als Verlust oder Gewinn interpretiert werden.

Unzweifelhaft hat ESCHBACH viel Zeit in die Recherche gesteckt. Seine in verschiedene Vorträge und Dialoge verpackten Informationseinheiten spiegeln erfreulich faktenreich den aktuellen Stand technologischer Möglichkeiten und kommerzieller Visionen. Hier kann man tatsächlich diesen Roman als eine Art Kurz-Fortbildung benutzen, die bis an die vorderste Forschungs-Front reicht.
Doch der Autor begnügt sich nicht mit der Wissensvermittlung: Mit einer erstaunlichen Reflexionstiefe wendet sich ESCHBACH der Frage zu, in wieweit mögliche (und wohl auch wahrscheinliche) technische Übergänge zwischen biologischen und digitalen Gehirnen tatsächlich das Ziel erreichen können, auch das persönliche Ich-Bewusstsein zu übertragen und damit zu erhalten.
Damit das alles nicht wie eine trockene Vorlesung rüberkommt, konstruiert der Autor eine zweite Handlungsebene, in der es um die Ausschaltung eines zweifelnden Störenfriedes geht, der die Investitionskampagne gefährden könnte. Da wird dann mit harten Bandagen gekämpft.
So schwankt dann die Story am Ende zwischen Digital- bzw. Nanotechnik, Neuropsychologie und Moralphilosophie auf der einen und einigen typischen 08/15-Verfolgungsjagden auf der anderen Seite. Es soll ja auch ein Thriller sein…

Hinsichtlich einer grundlegenden Antwort auf die – nicht nur kommerziell bedeutsamen – entscheidende Frage (nach dem Bewusstsein) versucht der Autor, so etwas wie einen zweiten (inhaltlichen) Spannungsbogen aufzubauen. Hier verzettelt sich ESCHBACH allerdings, indem er die vermeintliche Lösung künstlich extrem in die Länge zieht.
Auch wenn die Lösung dann nicht so eindeutig ausfällt – es wird jedenfalls deutlich, wo ESCHBACH in dieser Sache steht.

Insgesamt liefert ESCHBACH ein respektables Werk ab, mit dessen Hilfe eine interessierte Leserschaft recht nah an die (realen) technischen Grenzen und kontroversen Themen der Neurotechnologie herangeführt werden. Und das, ohne ein Sach- oder Fachbuch zu lesen!
Tolle Sache – wenn man sich an den eher durchschnittlichen Spannungselementen nicht stört.

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Eine Antwort auf „“Die Abschaffung des Todes” von Andreas ESCHBACH“

  1. Danke für die Rezension und die gewaltige, vorausgegangene Lesezeit und -mühe, lieber Frank.
    Mir scheint der Aufwand dem Bedürfnis nach Wissensvertiefung i.S. KI die 659 Seiten nicht wert zu sein. Zumal ich nicht gerade Trillerfan bin.

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