“Gefühle der Zukunft” von Eva WEBER-GUSKAR

Bewertung: 4.5 von 5.

Die KI-Revolution ist in den letzten ca. zwei Jahren ein solch umfassendes Mega-Thema geworden, dass es naheliegt, auch im Sachbuchbereich thematische Schwerpunkte zu bilden. Genau das tut die Philosophin WEBER-GUSKAR mit dieser vielversprechenden Publikation.

Verfolgt man – z.B. in den einschlägigen YouTube-Accounts – den Wettbewerb der großen und mittleren Player im Bereich der KI-Sprachmodelle, der Bild- und Videogenerierung und der Büro-Assistenzsysteme (“Agenten”), wird einem angesichts der wöchentlichen Neuerungen geradezu schwindelig. Parallel dazu läuft das Rennen um die Vorherrschaft auf dem Gebiet der Robotik mit ähnlicher Intensität, aber mit deutlich geringerer Breitenwirkung.
Im Vergleich dazu spielen sich die Entwicklungen in den Feldern, die hier “emotionale KI” genannt werden, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Zwar wurde die emotionale Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und KI in einigen Filmen thematisiert und vereinzelt tauchten Beispiele einzelner “verliebter” Programmierer auf – aber die reale Forschungsarbeit im Bereich der Gefühlserkennung oder Gefühlssimulation wird eher in Insiderkreisen (Sicherheitsdienste, Werbung) diskutiert.
Das ist um so erstaunlicher, als das die KI-Beziehungs-App “Replika” schon seit 2017 auf dem Markt ist und im Jahr 2024 von mehr als 30 Millionen Menschen genutzt wird (und zwar schwerpunktmäßig von erwachsenen Personen beiderlei Geschlechts).
Mit dem Buch von WEBER-GUSKAR ist die Zeit der Verborgenheit jedenfalls vorbei.

Wir bekommen von der Autorin eine systematische, gut strukturierte und didaktisch vorbildlich aufbereitete Einführung in die Thematik. WEBER-GUSKAR gliedert den Bereich in drei Fragestellungen:
– Wie weit ist die KI-Technologie der Gefühlserkennung fortgeschritten?
(Die Grenzen liegen in der Feinanalyse und den meist fehlenden Kontexten für eine tatsächliche qualitative Zuordnung von Gefühlsinhalten).
– Welche Entwicklungen gibt es bei der Simulation von Gefühlszuständen in der Interaktion zwischen Mensch und Maschine?
(Das “Vorspielen” von gefühlsmäßiger Beteiligung funktioniert erstaunlich gut und kann zu problematischen Ergebnissen führen).
– Wie sind die zukünftigen Möglichkeiten einzuschätzen, dass KI-Systeme selbst Gefühlszustände entwickeln könnten?
(So wie Bewusstsein in KI-Systemen langfristig nicht ausgeschlossen werden kann, muss auch die Möglichkeit von Empfindungs- und Leidensfähigkeit mitgedacht werden).

Die Autorin führt ihre Leserschaft in aller Ruhe und mit ausreichender begleitender Orientierung durch die spannende – für manche möglicherweise sogar unheimliche – Landschaft. Sie unterscheidet sehr klar zwischen der informativen Darstellung des Forschungs- bzw. Anwendungsstandes, der Einschätzung der tatsächlichen Leistungen bzw. Funktionen und einer kritischen Bewertung von individuellen und gesellschaftlichen Folgen der jeweiligen Technologie.

Geleitet wir die Autorin durch Maßstäbe, die sie als Philosophin aus dem eigenen Fachbereich (z.B. der Ethik oder der politischen Philosophie) mitbringt. WEBER-GUSKAR ist aber auch mit psychologischen Befunden und Konzepten sehr gut vertraut.
Sie zeigt sich prinzipiell offen auch gegenüber den kontrovers diskutierten Fragestellungen (KI-Systeme in der Pflege; KI-Beziehungspartner), ist aber weit entfernt von einer naiven Technikbegeisterung. Menschliche Bedürfnisse stehen bei ihr immer im Zentrum.

Die Stärke dieses Buches liegt genau in dieser Differenzierung, in dem Abwägen von Chancen und Risiken, und zwar bemerkenswert konkret und nachvollziehbar.
So beantwortet sie die Frage nach der Sinnhaftigkeit bzw. der Gefährlichkeit digitaler “Ersatz-Beziehungspartner” ebenfalls sehr abgewogen: Problematisch wird ihrer Einschätzung nach eine solche Beziehung (z.B. in der erwähnten App “Replika”) dann, wenn sich die virtuelle (eher spielerische) Ebene mit der Realitätsebene zu vermischen beginnt und der Mensch “in echt” davon ausgeht, in einer wirklichen Beziehung zu sein.

Möglicherweise könnte für manche Leser/innen die Strukturierung des Textes ein wenig überzogen wirken. Das Buch ist eben keine locker-flockige journalistische Lektüre, sondern ein seriöses Sachbuch auf dem Weg zum Fachbuch.
Als gut lesbarer und allgemeinverständlicher Einstieg in die Thematik der “emotionalen KI” ist diese Publikation kaum zu toppen.

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“Systemsturz” von Kohei SAITO

Bewertung: 2.5 von 5.

Dieses Buch könnte ein wichtiger Beitrag zum politischen Diskurs sein: Es entlarvt die Schwächen der Idee vom “grünen Kapitalismus” (der immer noch viel zu viele Ressourcen verbrauchen würde) und zeigt eine Alternative auf, die sich von der heiligen Kuh des Wirtschaftswachstums befreit und auch traditionelle Konzepte integriert, die von einem Allgemeineigentum an grundsätzlichen Ressourcen ausgehen. Er nennt sein Konzept “Degrowth-Kommunismus”.
Das ist alles zwar ziemlich radikal (und ein wenig utopisch) – aber durchaus stichhaltig und überzeugend (wenn man die ökologische Krise unseres Planenten wirklich ernst nimmt). Sich mit Post-Wachstums-Modellen intensiver zu befassen, wäre also ein Gebot der Stunde.

Das Problem mit diesem Buch liegt woanders: Es wurde ganz offensichtlich für Menschen geschrieben, deren Weltbild auf dem Marxismus fußt. Das führt dazu, dass der japanische Philosoph SAITO einen großen Teil seiner Ausführungen auf den Nachweis verwendet, dass der “späte Marx” (nach Veröffentlichung des “Kapitals”) von einigen seiner Grundpositionen abgerückt sei und sich – tatsächlich auch aus ökologischen Erwägungen – eben einem Kommunismus ohne Orientierung an weiterem Wirtschaftswachstum zugewandt habe.

Umgekehrt bedeutet das leider: Für eine Leserschaft, denen der Grad der Vereinbarkeit von ökologischen Zukunftskonzepten mit dem Denken von Karl Marx völlig nebensächlich erscheint, wird das Lesen von SAITOs Buch über weite Strecken zu einer echten Zumutung.
Das ist auch deshalb so eindeutig, weil der – aufgrund der vielen gestelzten (neo-)marxistischen Begrifflichkeiten (“Produktivismus”, “Konsumismus”, usw.) – sowieso schon hölzern wirkende Schreibstil auch noch extreme Redundanzen aufweist.

Der “Systemsturz” ist mit Sicherheit für Marxismus-Seminare eine große Bereicherung und wird vermutlich auch deshalb in entsprechenden akademischen Kreisen weltweit Beachtung finden.
Wem es schlichtweg um die ökologische Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise geht, sollte sich mit einem kurzen Blick auf die Kernthesen begnügen bzw. die Post-Wachstums- und Gemeinwohl-Ideen aus anderen Quellen schöpfen.

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“Wir. Tagebuch des Untergangs” von Dmitry GLUKHOVSKY

Bewertung: 4 von 5.

Es ist ein umfangreiches politisches Tagebuch, das der russische Bestseller-Autor hier vorlegt. Aus den letzten ca. 10 Jahren stammen die Statements (Blogbeiträge, Essays), die sich jeweils auf aktuelle politische Ereignisse in Putins Russland beziehen.
Der Autor wertet die Original-Texte dadurch auf, dass er sowohl den zeitgeschichtlichen Kontext ausführlich erläutert, als auch eine Bewertung aus der aktuellen Perspektive (Sommer 2024) beifügt. So ist sichergestellt, dass alle Ausführungen auch ohne genaues historisches Detailwissen nachvollziehbar sind.

In diesem Buch geht es permanent zur Sache: Hier wird nicht über Bande kommuniziert, hier werden keine Gleichnisse aufgemacht oder Bilder benutzt. GLUKHOVSKY betätigt sich als politischer Kommentator, immer direkt am Thema, faktenbasiert, angriffslustig, parteilich.
Was seinen Beiträgen auszeichnet: Der Autor bringt seine – aus seinen literarischen Werken bekannte und geschätzte – Sprachkunst und Sprachgewalt unüberhörbar auch in diese Texte ein. Er formuliert eindeutig, intensiv, ohne Rücksicht auf irgendwelche diplomatischen oder taktischen Gepflogenheiten. er spricht von “Kleptokratie”, von “Gangsterbande”, von “faschistoiden Methoden”.

GLUKHOVSKY prangert auf der einen Seite Putin und seine Machtclique an, nimmt aber auch immer wieder sein Volk ins Visier: Er sieht zwar die Mechanismen der Propaganda, der Lügen und der systematischen Verdummung durch die Staatsmedien – gleichzeitig beklagt er aber auch die Gleichgültigkeit und die Verführbarkeit. Verständnis hat er für die Ängste: Es gibt schon lange keinen Spielraum mehr für abweichende Meinungen.

Das Buch endet mit dem Tod von Nawalny. Für den Autor ist dieser wohl bekannteste Oppositionelle der letzten Jahren ein Vorbild und ein Held – jemand, der Putin durch die Kraft seiner Persönlichkeit hätte gefährlich werden können.
GLUKHOVSKY selbst lebt im Exil. Seine öffentlichen Äußerungen machen ihn zu einem Outlaw, dieses Buch sicher noch stärker als jemals zuvor.

Wer eine starke, unverfälschte und kämpferische Stimme der russischen Opposition hören möchte, bekommt das in diesem Buch geliefert. Nicht erwarten kann man abwägende Differenzierungen: Die Gegner sind klar identifiziert; sie werden als menschenverachtend und kompromisslos machtgeil und korrupt vorgeführt.
Wer sich die Entwicklung der letzten 10 Jahre aus dieser Perspektive noch einmal vorführen lassen will, ist mit diesem Buch bestens bedient. Wer eine distanzierte journalistische Analyse sucht, sollte woanders zugreifen.

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“Im Zeitalter der Identität” von Yascha Mounk

Bewertung: 3.5 von 5.

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler MOUNK seziert in diesem Buch akribisch das Phänomen “Identitätspolitik”, von ihm meist “Identitätssynthese” genannt.
Dabei betrachtet er zunächst die philosophischen (Postmoderne, u.a. Foucault), politischen (Postkolonialismus) und rassentheoretischen (Critical Race Theory) Wurzeln dieser inzwischen einflussreichen Perspektive.

MOUNK schildert dann faktenreich und detailliert, wie aus einer ursprünglich aufklärerischen und emanzipatorisch Idee mit dem Ziel “Anti-Diskriminierung” in den letzten ca. 20 Jahren eine in weiten Teilen geradezu toxische Doktrin geworden ist, die – so der Autor – einem realen gesellschaftlichen Fortschritt im Wege steht.

MOUNK setzt er dem Primat der Gruppen-Identitäten – meist bezogen auf Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Gender – das Prinzip des Universalismus (also das Ziel der Gleichheit und Gleichbehandlung) entgegen. Er hält es für einen prinzipiellen Fehler, im Kampf gegen Benachteiligungen bestimmter Gruppen genau diese Gruppen-Identitäten zum Ausgangspunkt von Selbstermächtigung, politischer Aktivitäten und kompensatorischen Maßnahmen zu machen. An zahlreichen Beispielen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Bildung, Gesundheitsversorgung, politische Teilhabe) untermauert der Autor seine Analyse und weist auf der Basis konkreter Daten nach, dass die Fixierung auf die Identität kontraproduktive Effekte hat. Das betrifft z.B. auch so unerwartete Bereiche wie die Prioritäten bei der Impfung gegen COVID in den USA.

Einen besonderes Augenmerk richtet MOUNK auf die Meinungs- und Redefreiheit: Er ist überzeugt davon, dass eine Gesellschaft eher auch schwer zu ertragende öffentliche Äußerungen in Kauf nehmen sollte, als freie Meinungsäußerungen einzuschränken oder gar zu sanktionieren. Dabei weist er auch auf Nebeneffekte von politischer und privater Zensur hin, die nicht sofort ins Auge springen.

Der Autor hat eine schnörkellose Sprache, argumentiert klar und schlüssig, hat ein gutes Gespür für Didaktik und journalistisch-orientierte Vermittlung.
Allerdings gibt es einen Bereich, in dem MOUNK ganz eindeutig über das Ziel hinausschießt: Ausgehend von der Option, die einzelnen Kapitel des Buches auch separat lesbar zu machen, entwickelt sich der – sowieso recht redundante – Stil des Autors zu einer regelrechten Wiederholungs-Kaskade, die an der Grenze der Erträglichkeit kratzt. Spätestens, wenn am Ende eines Kapitels die – sowieso sehr klar vermittelten – wenigen Grundgedanken nochmals zusammengefasst werden, fragt man sich ernsthaft, ob der Autor seine Leserschaft für begriffsstutzig oder dement hält.

Trotzdem: Wer den Hintergründen und Tücken der Identitätspolitik mal wirklich auf den Grund gehen möchte, wird in diesem Buch bestens versorgt. Die dort vollzogene Argumentation hat durchaus das Potential, nicht nur Menschen zu überzeugen, die diesem Thema unentschieden oder schon skeptisch gegenüberstehen. Da sich der Autor selbst einer eher progressiven, linksorientierten Szene zuordnet, könnten seine Ausführungen auch diejenigen erreichen, die sich durch die Ziele der Identitätspolitik weltanschaulich angesprochen fühlen. Dass man bzgl. einer radikalen Meinungsfreiheit auch gute Gründe für eine andere Positionierung haben könnte, spielt bei der Gesamtbewertung der Ausführungen keine wesentliche Rolle.
Das Lesen dieses Buches hinterlässt mit großer Sicherheit eine informierte und aufgeklärte Leserschaft. Wer allerdings eher fokussierte Ausführungen sucht, wird vermutlich gelegentlich daran denken, dass man die Kernthesen des Buches auch problemlos in einem fünf- oder zehnseitigen Artikel hätte darstellen können.
Aber das trifft sicherlich auch auf viele Sachbücher zu…

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“Die Kunst zu leben” von Frank TALLIS

Bewertung: 3.5 von 5.

Diesem Buch kann man sich am besten dadurch nähern, dass man darstellt, was es nicht ist: Der Psychotherapeut TALLIS hat keines der inzwischen viele Regalmeter füllenden Selbsthilfe-Ratgeber geschrieben, in denen man – oft gut strukturiert und didaktisch veredelt- konkrete Strategien gegen verschiedenste Probleme oder psychische Störungen angeboten bekommt. TALLIS bietet keine leicht verdauliche Gliederung und keinen Werkzeugkoffer oder gar ein Trainingsprogramm. Es gibt keine Selbstbefragungen und keine Listen zum Abhaken. Punkte kann man auch keine sammeln.
Vor allem gibt es keine Heilsversprechen mit Gelingens-Garantie!

TALLIN geht die Sache anders an.
Es offeriert einen sehr persönlichen Blick auf die “Lebensweisheiten” der Psychologie und geleitet seine Leserschaft eher erzählend als systematisierend durch das gewundene Landschaftsbild psychotherapeutischer Ideen und Konzepte. Wobei sich die hier angedeutete Unklarheit, ob es sich eher um “große” Psychologen oder Psychotherapeuten handelt, durch das gesamte Buch zieht. Der Schwerpunkt liegt jedenfalls eindeutig auf der Psychotherapie.
Der eher literarisch orientierte Stil wird auch durch eine Art Rahmenbetrachtung hervorgehoben, in der einige bekannte Bilder von Edward Hopper hinsichtlich ihrer Symbolkraft für die behandelten Themen interpretiert werden.

Der Autor gliedert den Text in eine Reihe von übergreifenden “Meta-Themen” (z.B. “Sicherheit”, “Bedürfnisse”, “Unglück”, “Sinn”, “Akzeptanz”, “Narzissmus”) und macht dadurch deutlich, dass es ihm weniger um Störungsbilder oder gar Methoden geht, sondern um allgemein menschliche Grundthemen. Die von TALLIN für die jeweilige Thematik als relevant empfundenen Psychologen/Therapeuten werden in die Kapiteln integriert.

Die Inhaltliche Ausrichtung des Buches ist stark dadurch geprägt, dass der Autor im Laufe seiner Berufslaufbahn letztlich seinen Platz bei der Psychoanalyse gefunden hat. Nur so ist es zu erklären, dass diese – historisch ohne Zweifel bedeutsame – Denkrichtung nicht nur besonders gründlich dargestellt wird, sondern dass die Konzepte von Freud und seiner Mitstreiter praktisch bei allen Betrachtungen als eine Art Basis fungieren.
Auch hier zeigt sich der thematische Schwerpunkt: Es geht TALLIS um existenzielle Grundfragen, sein Denken und Argumentieren ist eher philosophisch orientiert als wissenschaftlich-methodisch. Zwar macht der Autor an verschiedenen Stellen deutlich, dass ihm Bereiche wie die Neurowissenschaften, Evolutionsbiologie oder die aktuelle Verhaltenstherapie vertraut sind, die Diskussion des Ödipus-Komplexes oder der unbewussten Triebkräfte fasziniert ihn offensichtlich mehr. Zwar wird die Kognitive Verhaltenstherapie als wesentliche Therapieschule mehrfach genannt; ihre eigentliche Darstellung findet allerdings vergleichsweise oberflächlich statt. Für ziemlich exzentrische Vertreter analytischer Konzepte hat TALLIS dagegen ein großes Herz.

Ohne Zweifel werden in diesem Buch eine Menge relevanter Themen behandelt, die etwas mit “Lebenskunst” und “Lebenslast” zu tun haben. Das wird insbesondere Menschen interessieren und nützen, die sich gerade oder dauerhaft an den existentiellen Herausforderungen des Lebens reiben. Für sie kann es sicherlich hilfreich sein, von einem erfahrenen Begleiter durch die Welt der psychologischen und psychotherapeutischen Konzepte geführt zu werden. Es ist informativ und anregend, beispielsweise von der Bindungstheorie Bowlbys, der Logotherapie Frankls, den Konzepten Fromms und den Ideen der Granden der Psychoanalyse (Freud, Jung, Reich, Adler) zu erfahren.
Doch lässt TALLIS die Menschen, die konkretere Hilfen suchen, hinsichtlich der Umsetzung von Erkenntnissen auf ihr Alltagsleben ziemlich allein. Über die gedanklichen Anregungen geht dieses Buch nur selten hinaus.
Wer handfestere Lebenshilfe sucht, findet allerdings ganz sicher eine Menge brauchbarer Alternativen – die dann möglicherweise nicht den philosophischen Tiefgang eines TALLIS haben.

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“Die Abschaffung des Todes” von Andreas ESCHBACH

Bewertung: 4 von 5.

Wenn man sich gerade mit den Zukunftsvisionen von KI beschäftigt und dazu die aktuellen Bücher von HARARI und KURZWEIL gelesen hat, kommt ESCHBACHs aktueller Roman wie gerufen – ist er doch eine direkte Übertragung der Pläne zu “Gehirn-Upload” und “Anti-Aging-Forschung” ins Fiktionale. Gerade in dieser Kombination ist man sich als Leser der Tatsache bewusst, dass die z.T. absurd futuristisch erscheinenden Perspektiven der “Abschaffung des Todes” keineswegs überspannte Science-Fiction-Fantasie darstellen, sondern konkrete wissenschaftliche Ziele beschreiben, in die aktuell Milliarden investiert wird.

Erzählt wird der Plot aus Sicht eines besonderen Journalisten: James Windover vertreibt mit seinem Recherche-Team von Amsterdam aus eine tägliche globale Analyse aller Ereignisse, Daten und Trends für eine ausgewählte kleine Gruppe von superreichen Wirtschaftsbossen und Entscheidern.
Ein Sonderauftrag reißt ihn aus seiner einträglichen Routine: Eine seiner besten Kundinnen schickt ihn in die USA, wo eine Firma Wagniskapital für eine spektakuläre neuro-digitale Innovation einsammeln will. Es geht um die nächste Stufe der KI-Revolution, an dessen Ende so etwas wie das “ewige Leben” locken könnte.
James soll die Geschäftsidee prüfen und so letztlich über die Investition von mehreren Milliarden Euro entscheiden. Ein ganz schöner Stress…

Wenn sich auch der weit aufgefächerte Handlungsfaden durch das ganze Buch (immerhin 650 S.) zieht, kann man doch grob eine Zweiteilung vornehmen: Während in der ersten Texthälfte viel Mühe und Raum darauf verwandt wird, sowohl die neurologischen und technologischen Grundlagen, als auch die philosophischen bzw. ethischen Implikationen der Lebensverlängerung durch Gehirn-Digitalisierung darzustellen, gewinnt im zweiten Teil der Thriller-Anteil zunehmend an Bedeutung. Je nach Interessenlage der Lesenden kann das als Verlust oder Gewinn interpretiert werden.

Unzweifelhaft hat ESCHBACH viel Zeit in die Recherche gesteckt. Seine in verschiedene Vorträge und Dialoge verpackten Informationseinheiten spiegeln erfreulich faktenreich den aktuellen Stand technologischer Möglichkeiten und kommerzieller Visionen. Hier kann man tatsächlich diesen Roman als eine Art Kurz-Fortbildung benutzen, die bis an die vorderste Forschungs-Front reicht.
Doch der Autor begnügt sich nicht mit der Wissensvermittlung: Mit einer erstaunlichen Reflexionstiefe wendet sich ESCHBACH der Frage zu, in wieweit mögliche (und wohl auch wahrscheinliche) technische Übergänge zwischen biologischen und digitalen Gehirnen tatsächlich das Ziel erreichen können, auch das persönliche Ich-Bewusstsein zu übertragen und damit zu erhalten.
Damit das alles nicht wie eine trockene Vorlesung rüberkommt, konstruiert der Autor eine zweite Handlungsebene, in der es um die Ausschaltung eines zweifelnden Störenfriedes geht, der die Investitionskampagne gefährden könnte. Da wird dann mit harten Bandagen gekämpft.
So schwankt dann die Story am Ende zwischen Digital- bzw. Nanotechnik, Neuropsychologie und Moralphilosophie auf der einen und einigen typischen 08/15-Verfolgungsjagden auf der anderen Seite. Es soll ja auch ein Thriller sein…

Hinsichtlich einer grundlegenden Antwort auf die – nicht nur kommerziell bedeutsamen – entscheidende Frage (nach dem Bewusstsein) versucht der Autor, so etwas wie einen zweiten (inhaltlichen) Spannungsbogen aufzubauen. Hier verzettelt sich ESCHBACH allerdings, indem er die vermeintliche Lösung künstlich extrem in die Länge zieht.
Auch wenn die Lösung dann nicht so eindeutig ausfällt – es wird jedenfalls deutlich, wo ESCHBACH in dieser Sache steht.

Insgesamt liefert ESCHBACH ein respektables Werk ab, mit dessen Hilfe eine interessierte Leserschaft recht nah an die (realen) technischen Grenzen und kontroversen Themen der Neurotechnologie herangeführt werden. Und das, ohne ein Sach- oder Fachbuch zu lesen!
Tolle Sache – wenn man sich an den eher durchschnittlichen Spannungselementen nicht stört.

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“Das große Spiel” von Richard POWERS

Bewertung: 4.5 von 5.

Die letzten beiden Romane (Die Wurzeln des Lebens, Erstaunen) des Vielschreibers POWERS boten grandioses Lesevergnügen für Hirn und Herz. Kann das neue Buch hier mithalten?

POWERS geht mit gewohnter sprachlicher Kraft und kompromissloser Detailliertheit an seine aktuellen Themen heran. Er verbindet in einer kunstvollen Konstruktion diesmal fünf große Komplexe:
– die Bedeutung, Schönheit und Gefährdung des Lebensraumes Ozean,
– die Sehnsucht nach einer naturverbundenen, menschenfreundlichen Lebensform,
– die Faszination und die Risiken der allumfassenden Digitalisierung bzw. der KI-Revolution,
– den Stellenwert, den Freundschaft und Beziehung in dieser Welt (noch) haben kann,
– das Nachlassen geistiger Kräfte im Rahmen einer Demenzerkrankung.
Was in Form separater Plots beginnt, verwebt sich im Laufe des Romans zu einem weitläufigen Erzählteppich, in dem die Themen und Erkenntnisse ineinander verlaufen und letztlich in einem geradezu philosophischen Finale enden.

Natürlich sind die Handlungen an bestimmte Protagonisten gekoppelt: Da gibt es eine leidenschaftliche Taucherin, die ihr ganzen Leben der Unterwasserwelt verschreibt (und trotzdem eine erfüllte Ehe führt). Da sind zwei Freunde – der eine weiß, der andere schwarz – die verzweifelt um ihre Beziehung kämpfen. Da ist der geniale Digital-Visionär, den seine Social-Media-Plattform steinreich macht. Und da sind die Bewohner eines abgelegenen Atolls im Südpazifik, die zum zweiten mal Bekanntschaft mit der kapitalistischen Verwertungslogik machen.

Die magischen Momente dieses Buches liegen aber nicht in der komplexen Konstruktion des Handlungsgerüstes, sondern in den üppigen, überschwänglichen und facettenreichen Detailschilderungen maritimer Lebensformen. Die sprachliche Vermittlung dieser grandiosen, für die allermeisten Menschen völlig unzugänglichen Welt erzeugt eine Dichte und Intensität, die selbst die technisch perfektesten Videoaufnahmen nicht generieren könnte. In Live-Bildern könnte man – so der Eindruck – diese Vielfalt und Differenziertheit gar nicht sehen und erfassen; erst die Versprachlichung kann die dafür notwendigen Wahrnehmungskanäle öffnen. So vollbringt POWERS das kleine Wunder, dass er uns mit Worten die Augen auf ein verborgenes (und bedrohtes) Paradies öffnet.
Der Konflikt zwischen Ursprünglichkeit und Fortschritt spielt sich – wie angedeutet – auf einer kleinen Tropeninsel ab. Auch hier geht POWERS mit Akribie zur Sache und lässt der Ambivalenz der Betroffenen, in der private und gesellschaftliche Aspekte sich treffen, sehr viel Raum.

Das Titel-Grundmotiv “Spiel” taucht an verschiedenen Stellen des Buches in ganz unterschiedlichen Kontexten auf: Das Spielen verbindet Menschen und Tiere untereinander und miteinander; man kann es in Lebensläufen und Beziehungen erkennen – und wenn man will, sogar als kosmisches Prinzip, das über allem steht.

POWERS gibt es nur als volle Dröhnung; mit gebremster Kraft kann dieser sprachgewaltige und detailverliebte Mensch nicht schreiben. Das führt dazu, dass sicher manche/r Leser/in an mancher Stelle mal überfordert fühlen könnte – angesichts von Quantität und Intensität des Materials.
Das breite Spektrum der dargebotenen Perspektiven auf unsere Welt und unser Leben wird und kann nicht in allen Aspekten für alle passen; das gilt u.a. auch für die Schlussbetrachtungen.
Insgesamt ist die Fülle und die Tiefe der in diesem Roman enthaltenen Anregungen bzw. Denk- und Fühlanstößen über jeden Zweifel und jede Kritik erhaben.
Es ist wieder ein großer Roman!

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“Der Zauber der Zukunft” von Matthias HORX

Bewertung: 4 von 5.

HORXs Betrachtungen zur Zukunft bestehen aus einem kontinuierlicher Fluss von Gedanken und Assoziationen. Es handelt sich hier nicht um ein strukturiertes Sachbuch, sondern um die persönlichen Reflexionen eines Zukunftsforschers, der keinen Trennungsstrich zwischen seiner privaten Biografie und den professionellen Auseinandersetzungen mit den Zukunftsfragen zieht.

Da der Autor seine Zukunftsbetrachtungen mit einer Reise in und durch seine Vergangenheit beginnt, macht er zunächst den Blick frei für die Schleifen und Loopings, die er in seiner bewegten Lebensgeschichte gedreht hat. Dabei stellt sich schnell heraus, dass der Autor auf vielen Bereichen ein Grenzgänger war, der etablierte bürgerliche Wege offensichtlich meistens sorgsam gemieden hat.. HORX hat sich stattdessen eine Biografie zusammenkonstruiert, die es ihm erlaubt hat, auch in Bereiche hinein zu spüren, die einem beamteten Professor eher nicht begegnet wären. So hat er sich – nach der ebenfalls gewürdigten Kindheit und Jugend – in links-alternativen Sponti-WGs genauso aufgehalten wie unter Aussteigern oder später in der livestyle-affinen, etwas überdrehten Coaching-, Motivationstrainer- und Startup-Szene – wobei der typische Zukunftsbezug des jeweiligen Zeitgeistes zum Thema wird. Auch ein völlig skurriles Smart-Home und die Welt der PC-Spiele hat er mal ausprobiert; die digitale KI-Zukunft (inklusive “Autonomes Fahren”) erhält ihren (kritischen) Raum. Sein Credo: Zukunft bedeutet Wandel!

Die Perspektiven und Beispiele des letztlich als Trend-Forscher angekommenen Autors sind entsprechend breit gefächert und mixen Alltagskultur, Medien, Literatur, zeitgeschichtliche Ereignisse, neuropsychologische Aspekte und ganz Persönliches – wobei Erinnerungen und Bewertungen immer recht eindeutig subjektiv gefärbt sind. So entsteht nach und nach ein Kaleidoskop von unterschiedlichen Facetten, die sich nur lose an einem Roten Faden – dem zeitlichen Ablauf – orientieren.
Aber auch die professionelle Zukunftsforschung und ihre Visionen werden kritisch gewürdigt, natürlich wiederum am Beispiel persönlicher Erlebnisse.
Exkurse in die Biologie und die Neurowissenschaft machen die auf Erwartungen und Vorhersagen gepolten biologische Grundlagen unseres Zukunftsbezuges zum Thema; ebenso die Verzerrungen unserer Realitätswahrnehmung, die Bedeutung unserer emotionalen und hormonellen Systeme und unsere kulturelle Prägung auf Narrative.
Bei der Frage nach unser biologischen Prägung nimmt er ausführlich auf das Standardwerk von SAPOLSKY Bezug.

Für HORX ist die Zukunft auf jeden Fall offener und vielversprechender als für die – von ihm eher belächelten – Untergangspropheten oder visionären Transhumanisten (KURZWEIL hält er für einen liebenswürdigen Spinner).
Der Autor wendet sich immer stärker den großen Perspektiven zu, relativiert dabei auch die aktuellen Aufreger-Themen: Klimawandel, Artensterben, Atomkrieg und KI. HORX setzt auf die Flexibilität und Überlebenskraft der Gattung Mensch. Aus globaler Sicht – so seine Überzeugung – sind wir nicht bedroht; auch die Natur sei viel resilienter als oft befürchtet. Er beobachtet geradezu eine neurotische Lust an Untergangsszenarien.

Weitere Kapitel gelten den Weltraum-Besiedelungs-Fantasien und und der Psycho- und Achtsamkeitswelle. Für seine ausholende Perspektive greift HORX bis zur Mondlandung und zur “Odyssee im Weltraum” zurück, untersucht dann aktuellere Science-Fiction auf ihre unterschwelligen Botschaften und Versprechungen. Für die glaubenshungrigen Sinn-Sucher gibt es Ideen zu einer Zukunftsreligion und Überlegungen zur inneren “Selbsttransformation”.
In der Nach-Corona-Zeit dürfen natürlich ausführliche Gedanken zur “Omnikrise” nicht fehlen. Sie münden bei HORX in dem Konzept “Protopia”, einer Art Utopie, die in Tempo und Umfang auf ein realistisches Maß geschrumpft ist. Etwas bescheidener hätte man es auch als das allseits bekannte “Prinzip der kleinen Schritte” bezeichnen können…
Im abschließenden “Humanistischen Futurismus” plädiert HORX – im gleichen Sinne – für eine gemäßigte, auf die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Psyche abgestimmte Zukunftsorientierung, die möglichst umfassend die kulturelle Vielfalt des Menschseins einschließt.

Der Autor spielt nicht nur gerne frei und spontan mit Perspektiven und Ideen, er zeigt seine Kreativität auch gerne mit und durch seinen Sprachstil. Auch dieser ist eher “cool” als sachlich oder brav journalistisch. HORX ist eben auch in seiner Sprache ein geübter Selbstdarsteller, der sich gerne vom Mainstream abhebt.
Schwer zu beantworten ist die Frage, ob sich das riesige – teilweise assoziativ wirkende Gedanken-Puzzle – zu einem organischen Ganzen zusammensetzt. Aber vielleicht ist das Fragmentarische ja genau passend für das Thema Zukunft…

HORX bietet uns mit seinen Zukunftszauber-Betrachtungen eine facettenreiche Zeitgeist-Reise durch die futuristischen Ideen einer gesamten (intellektuellen) Boomer-Generation an. Durchweg temporeich und anregend, manchmal auch ein wenig selbstverliebt und irritierend subjektiv – aber keineswegs frei von Selbstkritik.
Um das Gesamtkunstwerk wirklich genießen zu können, sollte man allerdings schwindelfrei sein – angesichts der Zeit-Sprünge und Gedanken-Loopings (die hier nur ansatzweise darstellt werden konnten). Schnellleser lädt dieses Buch zu einem zweiten Durchgang ein; man findet dabei ganz sicher wieder ganz neue Aspekte und Verbindungen.
Vermutlich wird man aber auch beim zweiten Mal hin und wieder den Kopf schütteln…

“Leben” von Uwe LAU

Bewertung: 3 von 5.

Wenn man sich als umwelt- bzw. klimabewusster Mensch mal unterhalten lassen will, bietet sich seit einigen Jahren zunehmend das Genre des Öko-Thrillers an. Inzwischen sind nahezu alle erdenklichen Facetten der Thematik schon bearbeitet worden; genauso wie bei entsprechenden Sachbüchern wird es daher immer schwieriger, noch wirklich neue Informationen in einen mehr oder weniger spannenden Plot einzuweben.
In diesem Buch hat sich LAU für das Artensterben als Basisthema entschieden; es geht aber auch um Anti-Aging-Forschung, Pandemien und das Problem der Überbevölkerung.
Die Verbindung zwischen diesen Aspekten kreativ und überraschend zu gestalten, ist wohl die Besonderheit dieses Romans.

Im Handlungs-Kern geht es um eine Art weltweit verbreitete Pandemie, die das gesamte Leben auf diesem Planeten bedroht. Bei dem Versuch, dieser Bedrohung zu begegnen, stehen sich ein Pharmakonzern und eine recht geheimnisvolle Stiftung gegenüber.
Um die (vermeintlich) rettenden Medikamente und deren Verbreitung entspannt sich ein verbitterter Kampf, der mit allen denkbaren Methoden geführt wird.
Zur Identifikation angeboten wird ein junger Pharmareferent, der zwischen alle Fronten gerät und dabei in ziemlich verrückte Situationen gerät.

Der Handlungsverlauf und die beteiligten Akteure generieren eine Komplexität, die genügend Stoff für Verwicklungen, Konkurrenz, Spannung und auch widersprüchliche Lösungsansätze bieten. LAU entscheidet sich dabei für einen eher großen Spielraum hinsichtlich der “dichterischen Freiheit”: Konstellationen und Figuren erscheinen bewegen sich in großen Teilen ein wenig abseits der Alltagsplausibilität; manchmal schüttelt man auch – zumindest innerlich – irritiert den Kopf.

Das Grundthema “Artensterben” lugt immer mal wieder um die Ecke, steht aber bei genauer Betrachtung nicht wirklich in Zentrum des Handlungsgeschehens. Dafür taucht unerwartet die – wissenschaftlich und philosophisch interessante – Frage auf, ob und auf welchem Wege die ökologisch extrem bedenkliche Überbevölkerung abgebaut werden sollte. Auch da sind Extremhaltungen denkbar…

Insgesamt gehen aber in diesem Roman die inhaltlichen Fragestellungen in dem – teilweise ziemlich abstrusen – Plot zu einem großen Teil verloren. Man hätte gerne auf den ein oder anderen Handlungs-Looping oder Spannungseffekt verzichtet, wenn dadurch eine größere Nähe zu den realen Ausgangsbedingungen gewahrt worden wäre.
Aber es gibt sicher Leser/innen, die das weniger streng beurteilen und andere Prioritäten haben.. Ob allerdings die Thriller-Elemente glaubwürdig und überzeugend genug rüberkommen, darf wohl auch zumindest bezweifelt werden.


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“Zusammen” von Ronja von WURMB-SEIBEL

Bewertung: 3.5 von 5.

Das Problem “Einsamkeit” ist seit einiger Zeit in aller Munde – und das sicherlich nicht ohne Grund.
Die Autorin dieses Buches hat sich entschlossen, sich dem Thema mit einer Genre-Mischung zu widmen: Sie mixt persönliche Erfahrungen mit Forschungsbefunden bzw. Zitaten aus zahlreichen einschlägigen Veröffentlichungen. Aus diesen beiden Quellen ensteht ein eher ruhig und gleichmäßig plätschernder Fluss, der ohne Stromschnellen daherkommt.
Die Kapitelgrenzen stellen eher grobe Orientierungen dar, das Verbindende überwiegt und wird durch die anschauliche Schilderung eigener Erlebnisse und Erfahrungen geschaffen.

Es geht um den Unterschied zwischen “allein” und “einsam” sein; um die Offenheit für neue Menschen (auch im fortgeschrittenen Alter); um die Notwendigkeit, eigene Ziele mit Hilfe von Verbündeten zu erreichen und um Strategien für den Aufbau von “Communities” im privaten und gesellschaftlichen Umfeld.
Am Schluss eines jeden Kapitels erweitert sich der Text in Richtung Lebens- bzw. Selbsthilfe: Unter dem Titel “Experimente für den Alltag” werden nicht nur eine kurze Zusammenfassung des Inhalts geboten, sondern auch einige entsprechende Anregungen für persönliche Reflexionen und konkrete Handlungsschritte gemacht.

Das Buch wendet sich ganz eindeutig nicht an ein wissenschaftlich orientiertes Publikum. Die angesprochenen Leser/innen finden sich wohl am ehesten in einem leicht alternativ-progressiven Milieu (z.B. bei Kulturschaffenden oder in der psychosozialen bzw. politischen Szene). Das Interesse an Gemeinschaft, Solidarität und gesellschaftlichen Engagement wird weitgehend vorausgesetzt.

Der sehr persönliche Stil erleichtert sicher den Zugang zu dem Text und schafft dadurch einen niederschwelligen Zugang zu der Thematik. Für ein Publikum mit höheren Erwartungen an Fachlichkeit und Strukturierung könnte immer mal wieder die Grenze zur Plauderei überschritten werden.
Insgesamt überwiegt der Eindruck, dass hier ein alltagsnahes Buch vor allem für die eigene “Blase” geschrieben wurde. Das muss kein Nachteil sein; man sollte es nur wissen.

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