
Diesem Buch kann man sich am besten dadurch nähern, dass man darstellt, was es nicht ist: Der Psychotherapeut TALLIS hat keines der inzwischen viele Regalmeter füllenden Selbsthilfe-Ratgeber geschrieben, in denen man – oft gut strukturiert und didaktisch veredelt- konkrete Strategien gegen verschiedenste Probleme oder psychische Störungen angeboten bekommt. TALLIS bietet keine leicht verdauliche Gliederung und keinen Werkzeugkoffer oder gar ein Trainingsprogramm. Es gibt keine Selbstbefragungen und keine Listen zum Abhaken. Punkte kann man auch keine sammeln.
Vor allem gibt es keine Heilsversprechen mit Gelingens-Garantie!
TALLIN geht die Sache anders an.
Es offeriert einen sehr persönlichen Blick auf die “Lebensweisheiten” der Psychologie und geleitet seine Leserschaft eher erzählend als systematisierend durch das gewundene Landschaftsbild psychotherapeutischer Ideen und Konzepte. Wobei sich die hier angedeutete Unklarheit, ob es sich eher um “große” Psychologen oder Psychotherapeuten handelt, durch das gesamte Buch zieht. Der Schwerpunkt liegt jedenfalls eindeutig auf der Psychotherapie.
Der eher literarisch orientierte Stil wird auch durch eine Art Rahmenbetrachtung hervorgehoben, in der einige bekannte Bilder von Edward Hopper hinsichtlich ihrer Symbolkraft für die behandelten Themen interpretiert werden.
Der Autor gliedert den Text in eine Reihe von übergreifenden “Meta-Themen” (z.B. “Sicherheit”, “Bedürfnisse”, “Unglück”, “Sinn”, “Akzeptanz”, “Narzissmus”) und macht dadurch deutlich, dass es ihm weniger um Störungsbilder oder gar Methoden geht, sondern um allgemein menschliche Grundthemen. Die von TALLIN für die jeweilige Thematik als relevant empfundenen Psychologen/Therapeuten werden in die Kapiteln integriert.
Die Inhaltliche Ausrichtung des Buches ist stark dadurch geprägt, dass der Autor im Laufe seiner Berufslaufbahn letztlich seinen Platz bei der Psychoanalyse gefunden hat. Nur so ist es zu erklären, dass diese – historisch ohne Zweifel bedeutsame – Denkrichtung nicht nur besonders gründlich dargestellt wird, sondern dass die Konzepte von Freud und seiner Mitstreiter praktisch bei allen Betrachtungen als eine Art Basis fungieren.
Auch hier zeigt sich der thematische Schwerpunkt: Es geht TALLIS um existenzielle Grundfragen, sein Denken und Argumentieren ist eher philosophisch orientiert als wissenschaftlich-methodisch. Zwar macht der Autor an verschiedenen Stellen deutlich, dass ihm Bereiche wie die Neurowissenschaften, Evolutionsbiologie oder die aktuelle Verhaltenstherapie vertraut sind, die Diskussion des Ödipus-Komplexes oder der unbewussten Triebkräfte fasziniert ihn offensichtlich mehr. Zwar wird die Kognitive Verhaltenstherapie als wesentliche Therapieschule mehrfach genannt; ihre eigentliche Darstellung findet allerdings vergleichsweise oberflächlich statt. Für ziemlich exzentrische Vertreter analytischer Konzepte hat TALLIS dagegen ein großes Herz.
Ohne Zweifel werden in diesem Buch eine Menge relevanter Themen behandelt, die etwas mit “Lebenskunst” und “Lebenslast” zu tun haben. Das wird insbesondere Menschen interessieren und nützen, die sich gerade oder dauerhaft an den existentiellen Herausforderungen des Lebens reiben. Für sie kann es sicherlich hilfreich sein, von einem erfahrenen Begleiter durch die Welt der psychologischen und psychotherapeutischen Konzepte geführt zu werden. Es ist informativ und anregend, beispielsweise von der Bindungstheorie Bowlbys, der Logotherapie Frankls, den Konzepten Fromms und den Ideen der Granden der Psychoanalyse (Freud, Jung, Reich, Adler) zu erfahren.
Doch lässt TALLIS die Menschen, die konkretere Hilfen suchen, hinsichtlich der Umsetzung von Erkenntnissen auf ihr Alltagsleben ziemlich allein. Über die gedanklichen Anregungen geht dieses Buch nur selten hinaus.
Wer handfestere Lebenshilfe sucht, findet allerdings ganz sicher eine Menge brauchbarer Alternativen – die dann möglicherweise nicht den philosophischen Tiefgang eines TALLIS haben.
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