
HORXs Betrachtungen zur Zukunft bestehen aus einem kontinuierlicher Fluss von Gedanken und Assoziationen. Es handelt sich hier nicht um ein strukturiertes Sachbuch, sondern um die persönlichen Reflexionen eines Zukunftsforschers, der keinen Trennungsstrich zwischen seiner privaten Biografie und den professionellen Auseinandersetzungen mit den Zukunftsfragen zieht.
Da der Autor seine Zukunftsbetrachtungen mit einer Reise in und durch seine Vergangenheit beginnt, macht er zunächst den Blick frei für die Schleifen und Loopings, die er in seiner bewegten Lebensgeschichte gedreht hat. Dabei stellt sich schnell heraus, dass der Autor auf vielen Bereichen ein Grenzgänger war, der etablierte bürgerliche Wege offensichtlich meistens sorgsam gemieden hat.. HORX hat sich stattdessen eine Biografie zusammenkonstruiert, die es ihm erlaubt hat, auch in Bereiche hinein zu spüren, die einem beamteten Professor eher nicht begegnet wären. So hat er sich – nach der ebenfalls gewürdigten Kindheit und Jugend – in links-alternativen Sponti-WGs genauso aufgehalten wie unter Aussteigern oder später in der livestyle-affinen, etwas überdrehten Coaching-, Motivationstrainer- und Startup-Szene – wobei der typische Zukunftsbezug des jeweiligen Zeitgeistes zum Thema wird. Auch ein völlig skurriles Smart-Home und die Welt der PC-Spiele hat er mal ausprobiert; die digitale KI-Zukunft (inklusive “Autonomes Fahren”) erhält ihren (kritischen) Raum. Sein Credo: Zukunft bedeutet Wandel!
Die Perspektiven und Beispiele des letztlich als Trend-Forscher angekommenen Autors sind entsprechend breit gefächert und mixen Alltagskultur, Medien, Literatur, zeitgeschichtliche Ereignisse, neuropsychologische Aspekte und ganz Persönliches – wobei Erinnerungen und Bewertungen immer recht eindeutig subjektiv gefärbt sind. So entsteht nach und nach ein Kaleidoskop von unterschiedlichen Facetten, die sich nur lose an einem Roten Faden – dem zeitlichen Ablauf – orientieren.
Aber auch die professionelle Zukunftsforschung und ihre Visionen werden kritisch gewürdigt, natürlich wiederum am Beispiel persönlicher Erlebnisse.
Exkurse in die Biologie und die Neurowissenschaft machen die auf Erwartungen und Vorhersagen gepolten biologische Grundlagen unseres Zukunftsbezuges zum Thema; ebenso die Verzerrungen unserer Realitätswahrnehmung, die Bedeutung unserer emotionalen und hormonellen Systeme und unsere kulturelle Prägung auf Narrative.
Bei der Frage nach unser biologischen Prägung nimmt er ausführlich auf das Standardwerk von SAPOLSKY Bezug.
Für HORX ist die Zukunft auf jeden Fall offener und vielversprechender als für die – von ihm eher belächelten – Untergangspropheten oder visionären Transhumanisten (KURZWEIL hält er für einen liebenswürdigen Spinner).
Der Autor wendet sich immer stärker den großen Perspektiven zu, relativiert dabei auch die aktuellen Aufreger-Themen: Klimawandel, Artensterben, Atomkrieg und KI. HORX setzt auf die Flexibilität und Überlebenskraft der Gattung Mensch. Aus globaler Sicht – so seine Überzeugung – sind wir nicht bedroht; auch die Natur sei viel resilienter als oft befürchtet. Er beobachtet geradezu eine neurotische Lust an Untergangsszenarien.
Weitere Kapitel gelten den Weltraum-Besiedelungs-Fantasien und und der Psycho- und Achtsamkeitswelle. Für seine ausholende Perspektive greift HORX bis zur Mondlandung und zur “Odyssee im Weltraum” zurück, untersucht dann aktuellere Science-Fiction auf ihre unterschwelligen Botschaften und Versprechungen. Für die glaubenshungrigen Sinn-Sucher gibt es Ideen zu einer Zukunftsreligion und Überlegungen zur inneren “Selbsttransformation”.
In der Nach-Corona-Zeit dürfen natürlich ausführliche Gedanken zur “Omnikrise” nicht fehlen. Sie münden bei HORX in dem Konzept “Protopia”, einer Art Utopie, die in Tempo und Umfang auf ein realistisches Maß geschrumpft ist. Etwas bescheidener hätte man es auch als das allseits bekannte “Prinzip der kleinen Schritte” bezeichnen können…
Im abschließenden “Humanistischen Futurismus” plädiert HORX – im gleichen Sinne – für eine gemäßigte, auf die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Psyche abgestimmte Zukunftsorientierung, die möglichst umfassend die kulturelle Vielfalt des Menschseins einschließt.
Der Autor spielt nicht nur gerne frei und spontan mit Perspektiven und Ideen, er zeigt seine Kreativität auch gerne mit und durch seinen Sprachstil. Auch dieser ist eher “cool” als sachlich oder brav journalistisch. HORX ist eben auch in seiner Sprache ein geübter Selbstdarsteller, der sich gerne vom Mainstream abhebt.
Schwer zu beantworten ist die Frage, ob sich das riesige – teilweise assoziativ wirkende Gedanken-Puzzle – zu einem organischen Ganzen zusammensetzt. Aber vielleicht ist das Fragmentarische ja genau passend für das Thema Zukunft…
HORX bietet uns mit seinen Zukunftszauber-Betrachtungen eine facettenreiche Zeitgeist-Reise durch die futuristischen Ideen einer gesamten (intellektuellen) Boomer-Generation an. Durchweg temporeich und anregend, manchmal auch ein wenig selbstverliebt und irritierend subjektiv – aber keineswegs frei von Selbstkritik.
Um das Gesamtkunstwerk wirklich genießen zu können, sollte man allerdings schwindelfrei sein – angesichts der Zeit-Sprünge und Gedanken-Loopings (die hier nur ansatzweise darstellt werden konnten). Schnellleser lädt dieses Buch zu einem zweiten Durchgang ein; man findet dabei ganz sicher wieder ganz neue Aspekte und Verbindungen.
Vermutlich wird man aber auch beim zweiten Mal hin und wieder den Kopf schütteln…