“Im Zeitalter der Identität” von Yascha Mounk

Bewertung: 3.5 von 5.

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler MOUNK seziert in diesem Buch akribisch das Phänomen “Identitätspolitik”, von ihm meist “Identitätssynthese” genannt.
Dabei betrachtet er zunächst die philosophischen (Postmoderne, u.a. Foucault), politischen (Postkolonialismus) und rassentheoretischen (Critical Race Theory) Wurzeln dieser inzwischen einflussreichen Perspektive.

MOUNK schildert dann faktenreich und detailliert, wie aus einer ursprünglich aufklärerischen und emanzipatorisch Idee mit dem Ziel “Anti-Diskriminierung” in den letzten ca. 20 Jahren eine in weiten Teilen geradezu toxische Doktrin geworden ist, die – so der Autor – einem realen gesellschaftlichen Fortschritt im Wege steht.

MOUNK setzt er dem Primat der Gruppen-Identitäten – meist bezogen auf Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Gender – das Prinzip des Universalismus (also das Ziel der Gleichheit und Gleichbehandlung) entgegen. Er hält es für einen prinzipiellen Fehler, im Kampf gegen Benachteiligungen bestimmter Gruppen genau diese Gruppen-Identitäten zum Ausgangspunkt von Selbstermächtigung, politischer Aktivitäten und kompensatorischen Maßnahmen zu machen. An zahlreichen Beispielen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen (Bildung, Gesundheitsversorgung, politische Teilhabe) untermauert der Autor seine Analyse und weist auf der Basis konkreter Daten nach, dass die Fixierung auf die Identität kontraproduktive Effekte hat. Das betrifft z.B. auch so unerwartete Bereiche wie die Prioritäten bei der Impfung gegen COVID in den USA.

Einen besonderes Augenmerk richtet MOUNK auf die Meinungs- und Redefreiheit: Er ist überzeugt davon, dass eine Gesellschaft eher auch schwer zu ertragende öffentliche Äußerungen in Kauf nehmen sollte, als freie Meinungsäußerungen einzuschränken oder gar zu sanktionieren. Dabei weist er auch auf Nebeneffekte von politischer und privater Zensur hin, die nicht sofort ins Auge springen.

Der Autor hat eine schnörkellose Sprache, argumentiert klar und schlüssig, hat ein gutes Gespür für Didaktik und journalistisch-orientierte Vermittlung.
Allerdings gibt es einen Bereich, in dem MOUNK ganz eindeutig über das Ziel hinausschießt: Ausgehend von der Option, die einzelnen Kapitel des Buches auch separat lesbar zu machen, entwickelt sich der – sowieso recht redundante – Stil des Autors zu einer regelrechten Wiederholungs-Kaskade, die an der Grenze der Erträglichkeit kratzt. Spätestens, wenn am Ende eines Kapitels die – sowieso sehr klar vermittelten – wenigen Grundgedanken nochmals zusammengefasst werden, fragt man sich ernsthaft, ob der Autor seine Leserschaft für begriffsstutzig oder dement hält.

Trotzdem: Wer den Hintergründen und Tücken der Identitätspolitik mal wirklich auf den Grund gehen möchte, wird in diesem Buch bestens versorgt. Die dort vollzogene Argumentation hat durchaus das Potential, nicht nur Menschen zu überzeugen, die diesem Thema unentschieden oder schon skeptisch gegenüberstehen. Da sich der Autor selbst einer eher progressiven, linksorientierten Szene zuordnet, könnten seine Ausführungen auch diejenigen erreichen, die sich durch die Ziele der Identitätspolitik weltanschaulich angesprochen fühlen. Dass man bzgl. einer radikalen Meinungsfreiheit auch gute Gründe für eine andere Positionierung haben könnte, spielt bei der Gesamtbewertung der Ausführungen keine wesentliche Rolle.
Das Lesen dieses Buches hinterlässt mit großer Sicherheit eine informierte und aufgeklärte Leserschaft. Wer allerdings eher fokussierte Ausführungen sucht, wird vermutlich gelegentlich daran denken, dass man die Kernthesen des Buches auch problemlos in einem fünf- oder zehnseitigen Artikel hätte darstellen können.
Aber das trifft sicherlich auch auf viele Sachbücher zu…

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