“Unter Heiden” von Tobias HABERL

Bewertung: 2.5 von 5.

Der SZ-Journalist HABERL hat sein (katholisches) “Christ-Sein” in einer fast 300 Seiten starken Publikation zum Thema gemacht. Er selbst begründet seine Motivation mit der Erfahrung, dass er sich in seiner – insgesamt eher links-liberal-progressiven – Umgebung immer stärker wie ein altmodischer Sonderling vorkommt. Statt diesen Zeitgeist weiterhin fatalistisch einfach hinzunehmen, wollte der Autor mit seinem Bekenntnis ein deutliches – man könnte auch sagen “trotziges” Zeichen setzen: “Mein Glaube ist lebendig, gut begründet, wertvoll und unverzichtbar!”

Dass er sich keine ganz einfach Aufgabe gestellt hat, ist HABERL nur zu gut bewusst: In seinem privaten und beruflichen Umfeld ist er eingebettet in eine säkulare Weltsicht und Lebensweise. Er ist bestens vertraut mit allen kirchenkritischen Haltungen und Argumenten – angefangen von einem festgefügten wissenschaftlich-rationalen Weltbild bis zu der emotionalen Empörung über den Missbrauchsskandal.
Der Autor trägt selbst sozusagen zwei Welten in sich: Aufgewachsen in einer geradezu archetypischen katholisch-bayrischen Glaubens-Idylle hat er sich als junger Erwachsener einem weltoffenen und genussorientiertem Lebensstile zugewandt: HABERL outet sich als notorischer Weltenbummler, als kulinarischer Kenner und Genießer, als regelmäßiger Kneipengänger und auch sonst als sinnlicher Mensch.
Was ihn von den meisten seiner Mitmenschen unterscheidet: HABERL sieht keinen Widerspruch zwischen dieser “modernen” Seite seiner Persönlichkeit und seiner unumstößlichen Verankerung im und Bindung an den katholischen Glauben, an den christlichen Gott und an Jesus Christus (den er im ganz wörtlichen Sinne als Gottes Sohn betrachtet).

Als intelligentem Mensch ist dem Autor durchaus bewusst, dass der Zufall seines Geburtstortes und seiner streng-gläubigen Familien- und Kindheitsumgebung verantwortlich für die religiöse Prägung ist. Das relativiert für ihn aber in keiner Weise die Überzeugung, dass die christlich-katholischen Glaubensinhalte (und zwar alle) die letzte Wahrheit über Gott, die Welt und den Menschen beinhalten.
Soviel kognitive Dissonanz muss mal erstmal aushalten – oder – was wohl eher zutrifft – verleugnen!

Über die persönliche und emotionale Bedeutung hinaus verweist HABERL unentwegt auf den – seiner Meinung unverzichtbaren – gesellschaftlichen Beitrag des Glaubens bzw. der Religion. In vielfachen Varianten bedient der Autor dabei das immer gleiche Argumentationsschema: Er verweist – wortreich und meist nachvollziehbar – auf die Fehlentwicklungen, Defizite und Risiken unseres modernen (oberflächlichen, materialistischen, selbstzerstörerischen, naturentfremdeten, konsumorientierten, egoistischen, selbstbezogenen, digital-fixierten, sinnentleerten, selbstoptimierten, …) Lebens und stellt all diesen Szenarien die Religion bzw. den Bezug auf den christlichen Gott als Gegenmodell bzw. Allheilmittel gegenüber.
Das Problem dabei ist keineswegs die werbende Darstellung dieser Option und der permanente Verweis auf deren gutes Gelingen im eigenen Leben – das Problem ist der Absolutheitsanspruch und die systematische Leugnung säkularer Alternativen. Obwohl HABERL gelegentlich darauf verweist, auch geschätzte nicht-gläubige Bezugspersonen zu haben, kann er sich ganz offensichtlich nicht wirklich vorstellen, dass ein erfülltes, sinnhaftes und verantwortungsvolles Dasein ohne einen Bezug zu Gott, ohne die haltgebende Struktur aus religiösen Erzählungen bzw. Ritualen und ohne die Hoffnung auf ein ewiges Leben möglich ist. Dies ist keineswegs ein unterstellende Interpretation des Rezensenten, sondern bezieht sich auf wiederholte explizite Aussagen des Autors.

Es fällt auf, dass sich HABERL an verschiedenen Punkten sich ganz bewusst für eine dezidiert konservative bzw. traditionelle Ausprägung des Glaubens entscheidet: Er mag das Mystische, das Unzugängliche, das Sperrige, die verborgene Heiligkeit, die Verneinung gegenüber dem Zeitgeist. Der Autor will den Gegenpol zur, nicht die Anpassung an die Moderne – daher z.B. seine Begeisterung für die (selbst im Katholizismus umstrittene) alte Traditionsmesse in der lateinischen Liturgie und seine Präferenz für Papst Benedikt gegenüber Franziskus.
Da der Autor uns bereitwillig Einblick in seine Persönlichkeit gibt, liegt der Gedanke nahe, dass er diese leicht-fundamentalistische Tendenz zum innerpsychischen Ausgleich zu seinen ausgeprägten hedonistischen Anteilen benötigt bzw. einsetzt.

Insgesamt hinterlässt das literarische Glaubens-Bekenntnis von HABERL einen sehr zwiespältigen Eindruck: Es ist auf der einen Seite ein interessant und sprachlich kompetent geschriebener Einblick in eine private Weltanschauung, die einen spannenden Spagat zwischen gelebter Weltoffenheit und biografisch geprägten Traditionalismus umfasst.
Das Buch unternimmt aber auch den – eindeutig anmaßenden – Versuch, der eigenen Religion (und dem Gottesglauben allgemein) den Alleinvertretungsanspruch hinsichtlich eines bewussten, humanistischen, spirituellen und sowohl geistig wie auch emotional reichen und tiefgründigen Lebens zuzusprechen.
Immer dann, wenn der Autor die Selbstbetrachtung verlässt und sich in (vermeintlich) allgemeingültige Lebensweisheiten versteigt, geht er – vermutlich ungewollt – das Risiko der Ausgrenzung anderer Welt- und Sinnbilder und damit letztlich einer gesellschaftlichen Spaltung ein.
Wie stabil ist – so könnte man leicht psychologisierend fragen – sein inneres Bezugssystem wirklich, wenn HABERL mit solcher Intensität alle Alternativen als ungeeignet bzw. unzureichend zurückweisen muss? Muss man etwas so leidenschaftlich und provokant verteidigen, was nicht auch von innen bedroht wird?

Wer sich selbst gerade mit der Bedeutung von Religion und Glaube für sein persönliches Leben auseinandersetzt, findet in dem Buch von HABERL ganz sicher Anregungen und Reflexionsstoff. Dass hier nur eine von unzählig vielen denkbaren Antworten angeboten wird, versteht sich eigentlich von selbst. Trotzdem hätte man sich gewünscht, dass der Autor etwas weniger absolut und selbstgewiss aufgetreten wäre; er hätte damit vielleicht noch ein bisschen überzeugender für seinen Weg werben können….

Du möchtest das Buch kaufen?
Mach Amazon nicht noch reicher und probiere mal den sozialen Buchhandel, der aus jeder Bestellung eine kleine gemeinnützige Spende macht.
Der Preis für dich ändert sich dadurch nicht; die Lieferung erfolgt prompt. Klicke einfach auf das Logo.
Oder unterstütze einen kleinen Buchladen vor Ort.

Kategorien-

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert