“Psychotherapie ohne Fachgedöns*” von Nike HILBER

Bewertung: 3.5 von 5.

Allgemeinverständlich über Psychotherapie aufzuklären, ist ein sinnvolles und lohnendes Unterfangen. Die sonst auf Instagram (22 Tsd. Follower) aktive Therapeutin hat sich entschlossen, nun auch das klassische Print-Medium für dieses Ziel zu nutzen.

Aufgrund der Affinität zur Social-Media-Szene erwartet man eine niederschwellige Heranführung an das Thema. Genau das wird von HILBER auch geboten: Sie holt die Interessenten und potentiellen Patienten in ihrem Alltagsleben und bei ihren Zweifeln, Ambivalenzen und Ängsten ab.
Perfekt ist in diesem Zusammenhang die lebensnahe Schilderung einer ersten Kontaktaufnahme im Rahmen einer psychotherapeutischen Sprechstunde. Sie nimmt die Perspektive des Patienten ein und zeigt so, dass sie als Therapeutin – stellvertretend für alle Fachkollegen – genau weiß, wie unsicher und ausgeliefert man sich in dieser ungewohnten Rolle fühlen kann.

Diesen Weg, einige typische Störungsbilder und therapeutische Abläufe exemplarisch zu schildern, behält die Autorin bei. Auf dieser Ebene lädt sie ein, sich mit der Patientenrolle zu identifizieren und das gesamte Geschehen zu entmystifizieren und zu normalisieren.
Ihre Botschaft: “Es passiert nichts Schlimmes, wir sind alle nur Menschen…”
Gleichzeitig beinhalten die Fallbeispiele natürlich auch Informationen darüber, was typische Gründe für das Durchführen einer Psychotherapie sein können. Positiv anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass HILBER der Versuchung widersteht, die Eingangsschwelle zu einer “Psychotherapie als Teil der Gesundheitsversorgung” übermäßig zu senken: Es wird insgesamt deutlich, dass es in einer (von der Krankenversicherung getragenen) Psychotherapie nicht um alltagsübliche Befindlichkeitsstörungen oder um eine allgemeine Persönlichkeitsentwicklung gehen kann.

Doch dieses Buch hat auch noch andere Facetten:
Etwas überraschend ist zwischenzeitlich die Breite und Intensität, mit der die Autorin in die theoretischen Grundlagen der psychodynamischen Therapie einsteigt. Die Häufigkeit, mit der Sie einzelne Aussagen auf Literaturquellen bezieht, erinnert schon fast an eine wissenschaftliche Arbeitsweise. Das wirkt natürlich kompetent und seriös, spricht aber vermutlich eine andere Zielgruppe an.
Was wiederum besser in das (niederschwellige) Gesamtkonzept zu passen scheint, sind die Elemente aus Ratgeber- bzw. Selbsthilfeangeboten: Unter der Überschrift “#reflexionfürdich” schlägt HILBER kleine – jeweils zum Thema passende – Übungen vor und gibt ergänzende praxisnahe Informationen.

Auch wenn man der Autorin über weite Strecken zugute halten kann, sowohl gut verständlich, als auch seriös über Störungsbilder und Psychotherapie aufzuklären, muss man doch in einem Bereich deutliche Abstriche machen: Zwar verheimlicht HILBER nicht, dass sie über eine spezielle Therapieschule bzw. Therapiemethode spricht (über “psychodynamische” Therapie). Sie macht aber keinen Versuch, diese Ausrichtung in die Gesamtlandschaft der psychotherapeutischen Angebote vergleichend einzuordnen.
Man erfährt schlichtweg nichts über die Konkurrenzangebote “Kognitive Verhaltenstherapie” oder “Systemische Therapie”) – weder geht es um Gemeinsamkeiten, noch um Unterschiede. Genau dies würde aber ganz sicher die avisierte Zielgruppe im Rahmen einer Entscheidungshilfe interessieren.
So wie das Buch geschrieben ist, entsteht für die uninformierte Leserschaft letztlich doch – zumindest zwischen den Zeilen – der Eindruck, dass man all die beschriebenen Hilfen eben (nur) im Rahmen einer “tiefenpsychologischen” oder “psychoanalytischen” Therapie erhalten könnte: Nur da geht es schließlich um das “Unbewusste”, das “freie Assoziieren” , um “Abwehrmechanismen” und die “Traumdeutung”. Dass andere etablierte Therapierichtungen ohne diese Konzepte auskommen, sollte wenigstens eine Erwähnung wert sein.

Betrachtet man allerdings eher die Zielgruppe der potentiellen Leser, die sich genau über diese Therapierichtung informieren wollen, kann das Gesamturteil sicher noch positiver ausfallen. Allerdings hätte das dann fairerweise auch Eingang in die Titelgebung finden müssen.

Du möchtest das Buch kaufen?
Mach Amazon nicht noch reicher und probiere mal den sozialen Buchhandel, der aus jeder Bestellung eine kleine gemeinnützige Spende macht.
Der Preis für dich ändert sich dadurch nicht; die Lieferung erfolgt prompt. Klicke einfach auf das Logo.
Oder unterstütze einen kleinen Buchladen vor Ort.

Kategorien-

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert