Düsseldorf zwei Tage vor der Wahl: Grün und Future

Die volle Dröhnung für die Freunde des gemäßigten Klimas: Die Abschluss-Kundgebung von Habeck und Baerbock geht praktisch übergangslos in die Demo zum internationalen Klima-Streik über.
Da lohnt sich die Anreise: Zwei Groß-Events auf einen Streich!
Der Platz war voll, der Demo-Zug unüberschaubar.

Es ist – wenig überraschend – überwiegend seine Standard-Rede, mit der Habeck das Finale eröffnet. Wie soll man sich und seine Botschaft auch nach zig Auftritten noch neu erfinden?
Das Publikum ist interessiert und wohlwollend. Die solidarische Stimmung wird nur durch eine kleine Gruppe von Störern angekratzt: Es sind wirklich seltsame Leute, die sich da mit Tröte und Trillerpfeifen bemerkbar machen.

Nach einem musikalischen Zwischenspiel erscheint Annalena Baerbock. Unabhängig von persönlichen Vorlieben ist sie heute unangefochten die Hauptperson. Der Auftritt gelingt! Annalena ist energiegeladen, kämpferisch und klar. Ihr Wahlkampf-Stil passt heute in diese Situation: Es geht um Mobilisierung! Schließlich wird die Kundgebung in die ganze Republik gestreamt…

Die Störer werden kurzfristig lauter. Sie haben inhaltlich nichts zu sagen; keine ihrer Parolen haben irgendeinen Bezug zum Gesagten. Die Polizei ist nah dran und verhindert, dass es zu irgendeinem Gerangel kommt.

Natürlich ist die nachfolgende Klima-Demo keine Veranstaltung der GRÜNEN.
Aber es wird schnell deutlich, dass die Schnittmengen zwischen dem Publikum von Habeck und Baerbock und den Teilnehmern des Demo-Zuges sehr groß ist.
Und trotzdem überwältigt der Eindruck, wie lang die Demo schon ist, bevor die sich die Gruppen mischen.
Der Klima-Streik in Düsseldorf ist ganz offensichtlich ein großer Erfolg.
(Ob die vielen im Stau stehenden Autofahrer/innen aus lauter Frust jetzt etwas Doofes wählen – darüber denkt man am besten nicht nach).

Der Kontrast zur anderen – der weitgehend klima-ignoranten Konsumwelt – ist natürlich auf der Düsseldorfer Kö unmittelbar spürbar. Lastenfahrräder und Protz-Karossen symbolisieren zwei Lebens- und Zukunftsentwürfe, die es in den nächsten Jahren irgendwie zusammenzuführen gilt.
Egal wie die Wahl ausgeht: Diese Aufgabe kommt auf jede Regierung zu.
Wer heute hier in Düsseldorf dabei war, wird sich nicht ernsthaft eine nächste Ministerriege ohne grüne Beteiligung vorstellen können.


Robert Habeck in Essen

Fünf Tage vor der Wahl, Kennedy-Platz in Essen-Mitte.
Keine Riesen-Menschenmenge, aber eine würdige Kulisse für die Abschluss-Veranstaltung der GRÜNEN in Essen.

Robert kommt – ganz anders als vor einigen Wochen Annalena in Bochum – auf leisen Sohlen.

Keine sichtbare Security, kein Begleit-Tross. Habeck mischt sich wie ein ganz normaler Besucher unter das wartende Publikum. Er ist ansprechbar, sucht aber nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine ganze Weile steht er alleine und hört brav der Vorstellung und den Reden der drei örtlichen Kandidaten zu.
Die Botschaft (ob gewollt oder ungewollt): Ich bin einer von euch, ganz normal…

Der Status-Unterschied zu einer offiziellen Kanzler-Kandidatin ist nicht zu übersehen: Er steht nicht so stark als Person im Rampenlicht; er steht nicht in Konkurrenz zu Laschet und Scholz; er hat sicher nicht die höchste BKA-Sicherungsstufe.

Seine Rede unterscheidet sich deutlich von dem Auftritt Baerbocks (vor einigen Wochen):
Er spricht mehr aus dem Moment heraus, entwickelt längere und komplexere Argumentations-Bögen, entwickelt die Gedanken wohl jedesmal ein wenig anders und neu.
Während Baerbock sich eher Punkt für Punkt durch ihr Programm gearbeitet hat und ihre Thesen sehr komprimiert und formelhaft präsentierte, sieht man Habeck eher beim Spinnen der Gedankenfäden zu. Seine Sätze sind komplexer und länger; die Stelle, an der man Klatschen kann, ist nicht so eindeutig vorgegeben wie bei den etwas schablonenhaften Standard-Statements von Annalena.
Habeck ist der Typ für die etwas längere Aufmerksamkeitsspanne. Aus der Rede von Habeck lassen sich deutlich schwerer die berühmten 15-Sekunden-Sprüche für die Tagesschau herausschneiden.

Es ist wohl schwierig, diesen Menschen nicht irgendwie sympathisch zu finden. Das ist kein aufgeblasener Politikertyp alter Schule; gleichzeitig hat er nichts modern-aufgestyltes wie ein Lindner. Man kann sich gut vorstellen, wie er als Minister zwischen sehr verschiedenen Milieus vermitteln konnte.
Tatsächlich freue ich mich darauf, ihn bald in einem neuen Kabinett zu haben. Diesem Persönlichkeits- und Politikertyp vertraue ich gerne meine Stimme und mein Mandat an.
Sollte es dazu nicht kommen, wäre meine Enttäuschung groß…

Was kann man noch tun?

Im Moment geht in der veröffentlichten Meinung noch kaum jemand von einer Kanzlermehrheit für Annalena Baerbock aus. Scholz liegt knapp vorne; es mehren sich die Hinweise, dass Laschet aufholen könnte.
Die Gründe dafür:
– Die Leute sehen bei den vermehrten öffentlichen Auftritten, dass Laschet nicht so “unmöglich” ist, wie es zwischenzeitlich erschien.
– Die Union spielt das Angst-Thema “Linksruck” ungebremst aus; benutzt dabei ungehemmt polemische Zuspitzungen, die mit der Realität kaum etwas zu tun haben.
– Union und FDP wiederholen gebetsmühlenartig die (eindeutig falschen) Vorwürfe an die GRÜNEN, diese wünschten sich eine Gesellschaft voller Verbote und Einschränkungen und sähen nicht die Chancen innovativer Technologien.
– Die Union kündigt wohlklingende Maßnahmen an, die den Eindruck erwecken sollen, dass eine (von Steuern und Vorschriften) “entfesselte” Wirtschaft einen solchen Wachstumsschub erzeuge, dass sich alle gesellschaftlichen Aufgaben ohne Umsteuerung finanzieren ließen.

Dem allen etwas entgegenzusetzen, erfordert eine differenzierte Argumentation. Es ist naturgemäß einfacher, pauschale Vorwürfe zu verbreiten (“wirtschaftsfeindliche Verbotspolitik”; “Bevormundung der Bürger”; “leistungsfeindliche Umverteilung”), als diese auf Basis des konkreten Programms zu entkräften.
Tatsächlich bleibt den Menschen, die unentschlossene Wähler noch erreichen wollen, kaum etwas anderes übrig, als inhaltlich einzusteigen.

Es gibt dafür gute Quellen:
– Einen guten Zugang bietet die Themenseite “A – Z” an: Hier bekommt man zu 45 Stichpunkten eine schnelle Orientierung zu GRÜNEN Positionen und Forderungen.
– Etwas komprimierter geht es auf der Einstiegsseite zum Programm zu.
– Natürlich kann man sich das Wahlprogramm auch in voller Länge (Achtung: sehr ausführlich) oder in Kurzform herunterladen.

Wozu die Anstrengung, wenn es doch (vermutlich) keine GRÜNE Kanzlerschaft geben wird? Nun, es kommt für die Koalitionsverhandlungen ganz entscheidend auf die relative Stärke der Parteien an. Vielleicht kann man gerade jetzt (wo eine Kanzlerschaft von Bearbock nicht mehr “droht”), Bekannte oder Verwandte davon überzeugen, dass sie mit ihrer Stimme etwas für die Gewichtung GRÜNER Positionen tun.
Eine aktive Gestaltungskraft ist nur zu erwarten, wenn die GRÜNEN mit ihrem Ergebnis wirklich in Augenhöhe mit den anderen beiden abschneiden.

Also: Führt einfach noch das ein oder andere Gespräch mit Menschen, die man für die GRÜNE Sache gewinnen könnte.

(Natürlich kann ich gut verstehen, wenn überzeugte Sozialdemokraten sich am Erfolg von Scholz erfreuen).

Der neu PRECHT/LANZ-Podcast

Da legen zwei der bekanntesten Medien-Stars aus den Bereichen Journalistik bzw. angewandter Philosophie kurz vor der Bundestagswahl ein neues Podcast-Format auf. Der GRÜN-engagierte Hörer fragt sich natürlich: Was wird die Botschaft sein? Werden diese beiden intellektuellen Lichtgestalten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung wohl gerecht?

Man spricht lange über Afghanistan, über die Feigheit der Parteien vor dem Wähler, über die Bewertung der Merkel-Ära, über die Fehler bei der Kandidaten-Kür und insgesamt über die Unfähigkeit von Politik und Gesellschaft, sich den wirklich großen Zukunftsfragen ehrlich und mutig zu stellen.
Dabei steht eine Botschaft – sozusagen auf der Meta-Ebene – über allem: Hier sprechen zwei Typen, die es besser wissen! Die sich auskennen, Dinge durchdacht haben, ganz viele wichtige Leute kennen, die Märchenerzählungen fürs einfache Volk entlarven und sich kompromisslos der Wirklichkeit stellen!
Super Jungs, ihr seid die Größten!

Es muss toll sein, sich so zu fühlen. Und irgendwie stimmt ja auch (ziemlich) alles.
Nur eine kleines Gefühl der Unstimmigkeit schleicht sich ein:
Ist es vielleicht doch irgendwie einfacher (und bequemer), aus einer Beobachterperspektive die Zusammenhänge zu analysieren – ohne sich der Mühe zu unterziehen, aus Einsichten eine konkrete Politik zumachen, die in einer konkreten Gesellschaft zu einem konkreten Zeitpunkt zu realer Zustimmung führt?

Ich kann sie nur schwer ertragen, diese pauschale Schelte über alle Programme und alle Kandidaten. Wenn man nur weit genug in der Idealwelt sitzt, verschwimmen wohl auch die Unterschiede zwischen GRÜN, SCHWARZ und ROT.
Aber in der Realpolitik, in dieser Wahl, kommt es auf die Unterschiede an. Dann macht es eben Sinn, die Richtung im Auge zu haben und nicht nur das Endziel.

Es ist nichts einzuwenden gegen das “Weiterdenken”; wir brauchen Ideen, Konzepte und Utopien, die über das Tagesgeschäft hinaus reichen. Ich bin froh, dass es PRECHT gibt.
Aber seine Haltung gegenüber dem Versuch, (gemäßigt) GRÜNE Politik mehrheitsfähig zu machen, ist in dieser Situation (drei Wochen vor einer wichtigen Wahl) dumm und verantwortungslos. Es fühlt sich wie Profilierung als Selbstzweck an.

Schade, PRECHT und LANZ; von euch wäre mehr zu erwarten gewesen.

Steuer-Stasi?

Es macht sich zunehmend eine besondere Form der Definition von Freiheit breit, die folgende Idee zur Grundlage hat:
“Es gibt zwar (notgedrungen) juristische Regeln, die Gesellschaft soll aber nicht allzu viel Mühe darauf verwenden, deren Einhaltung zu überprüfen.”
Da “Freiheit” mit “Freiheit zur sanktionsfreien Regelüberschreitung” verwechselt wird, regen sich Leute z.B. über Radarfallen, regelmäßige Steuerprüfungen und über Pläne auf, Höchstbeträge für den Einsatz von Bargeld einzuführen (weil Deutschland nämlich eine Oase für internationale Geldwäsche ist).

Da wundert es nicht, dass der Versuch, dem Riesenproblem der (eindeutig asozialen) Steuerhinterziehung auch auf digitalem Wege etwas entgegenzusetzen, hemmungslos diffamiert und skandalisiert wird.
Da schreien einerseits alle Leute nach der “digitalen Verwaltung”, eine Online-Meldestelle für (auch anonyme) Hinweise auf Steuerhinterziehung wird fix zu einer Blockwart-Institution erklärt.

Ich begrüße jede Initiative, die dem (meist sehr kompetent gestalteten) Betrug am Gemeinwesen etwas entgegensetzt. Der GRÜNE Finanzminister aus Baden-Württemberg (Danyal Bayaz) verdient jeden Respekt!

“Das Links-Gespenst”

Es war ja erwartbar und unvermeidlich, dass es irgendwann von der Kette gelassen würde: das Gespenst des dramatischen Links-Rucks – ausgelöst durch eine drohende Regierungsbeteiligung der LINKEN an einer GRÜN/SPD-geführten Regierungskoalition.
Nun wird es also von UNION und FDP mit viel Tamtam durch die Medien gejagt, mit dem Ziel, von eigenen Schwächen und all den Themen abzulenken, bei denen es an eigenen tragfähigen und zukunftsbezogenen Konzepten mangelt.

Warum – so fragen sich viele – machen die GRÜNEN (oder die SPD) nicht einfach das Licht an und verwandeln so das Gespenst in eine hilflose und nackte Witzfigur? Der Schalter dafür wäre das explizite Ausschließen einer Zusammenarbeit nach der Wahl.
Der zusätzliche Vorteil könnte sein, dass sich möglicherweise einige Links-Sympathisanten doch noch umschwenken, wenn sie sicher sein könnten, dass eine Links-Stimme letztlich nichts Konkretes bewirken könnte.

Was spricht eigentlich dafür, sich diese Option (GRÜN/ROT/ROT) doch noch einen Spaltbreit offen zu lassen?

Hinsichtlich der Programmatik gibt es schlichtweg nicht zu übersehende Schnittmengen zwischen den drei Parteien, inzwischen nicht nur in der Sozialpolitik, sondern auch in der Klima-Frage (selbst wenn dahinter vielleicht mehr Taktik als echte ökologische Überzeugung stehen sollte). Es ist grundsätzlich nicht abwegig, dort nach Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zu suchen, wo sie sich inhaltlich ganz offensichtlich bietet.

Dem kann man entgegenhalten, dass in einigen – gerade für die Bundespolitik bedeutsamen – Bereichen die Positionen der LINKEN als “unannehmbar” eingeschätzt wird. Hier geht es um NATO, Auslandseinsätze, eine gewisse DDR-Nostalgie und eine deutliche Affinität in Richtung Putin. Einräumen muss man dabei, dass die LINKE hinsichtlich ihrer Skepsis bzgl. militärischer Interventionen gerade einen Punkt machen konnte (Afghanistan); was bleibt ist aber ihre prinzipiell dogmatische Haltung an diesem Punkt (wobei die Enthaltung beim Rückholungs-Einsatz aus Sicht der Betonfraktion vermutlich schon eine Nachgiebigkeit war).

Wiederholt wurde (z.B. von Baerbock und Scholz) gesagt, dass man im Bund nicht mit einer Partei koalieren könne, die sich nicht zur NATO bekenne; gleichzeitig verweigert die LINKE ganz explizit dieses Bekenntnis. Wo bleibt da Spielraum?
Rein formal kommt es letztlich auf die Koalitionsvereinbarung an: Keine Partei (erst recht nicht eine sehr kleine) kann schließlich alle ihre Vorstellungen in einen solchen Vertrag einbringen. Daraus ergibt sich die Frage: Kann und darf man mit einer Partei koalieren, die in ihrem Programm “toxische” Forderungen hat, diese aber nicht in die gemeinsam vereinbarte politische Agenda eingehen?
Ich könnte darauf kaum eine andere Antwort geben als “ja”.
Genau deshalb ist es eben kein “Herumgeeiere”, wenn z.B. Baerbock sagt: “Nach Stand heute wäre eine Koalition nicht vorstellbar”, weil es die (vielleicht eher unwahrscheinliche) Möglichkeit offen lässt, dass letztlich ganz konkret eine gemeinsame Linie ausgehandelt werden könnte.
(Verhandlungstaktisch – z.B. gegenüber der FDP – wäre es ein zusätzlicher Vorteile, wenn es rein theoretisch noch eine andere Koalitionsoption geben könnte).

Das alles finde ich nicht wünschenswert! Meine erhoffte Regierung heißt GRÜN/ROT (zur Not auch ROT/GRÜN oder – zähneknirschend – GRÜN/SCHWARZ). Weder die FDP noch die LINKEN sollten wegen mir die Gelegenheit bekommen, Einfluss auf die Politik der nächsten Jahre zu nehmen.
Aber eine Sache treibt mich um:
Wenn der Klimafrage und der (sozial abgefederten) Nachhaltigkeits-Wende wirklich die Priorität bekommen sollen, die sie verdienen, dann wäre es tragisch und wirklich unentschuldbar, wenn eine irrationale Panik vor dem LINKS-Gespenst gutmeinende Menschen in die Arme der Bremser und Zauderer treiben würde (die im Zweifelsfall zuerst den wirtschaftlichen Interessen ihrer Klientel verpflichtet sind).
Wir sollten daher die Kirche im Dorf lassen und uns nicht einreden lassen (und das wird wirklich versucht!), dass die LINKE (mit ca. 7% Stimmanteil) die GRÜNEN und die SPD in ein sozialistisches (oder sonstwie radikales) Regierungsprogramm zwingen könnte. Das ist billigste Propaganda, die eigentlich nur im AfD-Lager verfangen sollte!

Zum Schluss nochmal im Klartext:
Wenn es wirklich gelingen sollte, die LINKEN so in ein Regierungsbündnis einzupflegen, dass ein Maximum an GRÜNER Politik dabei herauskommt (bei gleichzeitiger Vermeidung aller “toxischen” Inhalte), dann wäre das nicht nur kein Weltuntergang, sondern eine verantwortbare Option.
Sollten solche Verhandlungen (was wahrscheinlich ist) scheitern, dann führt das hoffentlich dazu, dass die Regierungsunfähigkeit der LINKEN dann auch für alle deutlich wird.

Habeck und Söder

Auf einer privaten Medienplattform (unter Führung des SPIEGEL) wurde am Tag vor dem ersten offiziellen Kandidaten-Dreier “Die einzig wahre Wahlkampfdebatte” angeboten: Ein Duell der unterlegenen Konkurrenten von Baerbock und Laschet, die von den meisten Beobachtern und auch in Umfragen als die jeweils bessere Alternative betrachtet werden.

Bei dieser Gemengelage hätte einiges schief gehen können!
Doch ist hier den Moderatoren und den beiden Polit-Profis ein eindeutiges Kompliment auszusprechen: Es gab keine Spur von Seitenhieben oder Selbstbeweihräucherung im Stile “Ich wäre sowieso der Bessere gewesen!”
Es wirkte geradezu entspannt, wie sich die beiden Wahlkämpfer auf die Inhalte konzentrieren konnten. Sie mussten sich weder als Kanzler-Figuren aufblasen, noch standen sie unter dem Druck, das jeweilige Gegenüber zu demontieren. Das alles war daher recht angenehm und unaufgeregt.

Auch in dieser Diskussion fiel wieder auf, wie klar und kompetent Habeck die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der GRÜNEN darstellen und begründen kann. Man merkt einfach, dass hier tatsächlich ein in sich stimmiges Konzept erarbeitet wurde, während die Union auf altbewährte Plattitüden zurückgreift: die Marktkräfte würden es schon richten, wenn man nur (Steuer-)Belastungen und Gängelungen vermeiden und so dem Wachstum freien Lauf lassen würde. Es wundert wirklich, dass man sich traut, dies als zeitgemäße Antwort auf die riesigen Anforderungen von Modernisierung und Nachhaltigkeits-Umsteuerung anzubieten.
Gekonnt war auch der Hinweis von Habeck auf den Skandal der Steuerschlupflöcher und das international kritisierte Problem der Geldwäsche in Deutschland.

Sagen wir es mal so: Man hat bei dieser Debatte weder Baerbock noch Laschet wirklich vermisst. Ein Ersatz für die Trielle der realen Kandidaten war sie aber sicher nicht – dafür hat die “dritte Kraft” (SPD) inzwischen zu eindeutig mit ins Rennen gebracht.

Merz gegen Habeck über Klima und Wirtschaft

Manchmal schaffen es ja Talkshows, mehr als einen Ort für den Austausch bekannter Sprechblasen zu liefern. Gestern war es bei Maybrit Illner mal wieder so weit.

Aus meiner Sicht ist es Habeck mit überraschender Klarheit gelungen, den ach so hochgelobten Wirtschaftsexperten der CDU ziemlich blass aussehen zu lassen. Merz hatte dem Transformationskonzept der GRÜNEN inhaltlich nichts Greifbares entgegenzusetzen.
Unaufgeregt und sachlich begründete Habeck, warum das geplante (und auch mit neuen Schulden finanzierte) Investitionsprogramm und die Anstoß-Unterstützung der Wirtschaft für die Nachhaltigkeitswende nicht nur (ökologisch) notwendig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll wäre. Der dazugeschaltete Wirtschaftsfachmann konnte nur noch zustimmen.

Es erwies sich (für mich) einmal mehr, dass die wahren Ideologen diejenigen sind, die bestehende Rahmenbedingungen als quasi “naturgegeben” betrachten und mit ihren pauschalen Unterstellungen (man würde das Land in eine “Staatswirtschaft” treiben) eigentlich nur ihr antiquiertes Weltbild und bestimmte Klientel-Interessen schützen wollen.

Die Diskussion nahm zeitweise fast absurde Züge an, da Habeck letztlich begründete, warum sein Modell langfristig zu mehr Wachstum und weniger Schulden führen würde.
Man mache sich das klar: Soweit geht der Realitätsbezug der GRÜNEN inzwischen, dass sie neben allem anderen auch noch das logischere Modell zur Erhaltung des (nicht nur geliebten) Wirtschaftssystems liefern.

Selbst wenn man an all dem zweifelt: Eine Alternative konnte Merz nicht liefern! Geradezu “nackt” an Vorschlägen verwies er auf den heiligen Gral des Ausschlusses von Steuererhöhungen – bei gleichzeitiger Schuldenvermeidung und Anerkennung von Investitionsnotwendigkeiten.
Das ist wahrhaft mutige Politik: Die Zukunft muss gemeistert werden – aber keiner soll es merken und der (letztlich willkürlich definierten) liberalen Marktlogik soll es auch folgen.
Dieser Partei darf man die Zukunft unseres Landes wirklich nicht anvertrauen.

“Die GRÜNEN sind auch nicht besser….”

Es ist nachvollziehbar, dass das Klima-Programm der GRÜNEN kritisiert wird. Es gibt viele Menschen, denen die (vergleichsweise konkreten) Vorschläge und Forderungen der traditionellen Öko-Partei zu weit gehen. Gründe dafür können sein: die Sorge vor persönlichem oder gesellschaftlichem Wohlstandsverlust; der grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit eines konsequenten Umsteuerns; die Weigerung, über eine Veränderung des individuellen Lebensstils auch nur nachzudenken; die Überzeugung, dass unsere Entscheidungen sowieso keinen Einfluss hätten (weil wir so ein kleine Land seien oder es sowieso schon zu spät sei).
Soweit hinter diesen Meinungen Argumente stehen, sind diese zwar längst widerlegt – aber das ändert ja erstmal nichts. Die logische Konsequenz wäre auf jeden Fall, die Klima-Politik der GRÜNEN abzulehnen.

Eine zweite Gruppe von Kritikern steht auf der anderen Seite: Sie werfen den GRÜNEN vor, dass ihre Forderungen – angesichts der Dramatik der Klimakatastrophe – viel zu “weichgespült” seien: So würden “echte” Zumutungen (Verbote und Verzicht) vermieden und insgesamt der Eindruck erweckt, dass eine intelligente und innovative Transformation innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems möglich wäre – wenn nur der notwendige Rahmen (Ziele und Vorgaben) gesetzt und zielgerichtete Investitionen auf den Weg gebracht würden.
Viele Wissenschaftlerinnen und Aktivisten wünschen sich tatsächlich noch radikalere und kurzfristigere Maßnahmen, als sie das Wahlprogramm der GRÜNEN enthält.

Nur – kann es für diese zweite Kritikerszene wirklich einen nachvollziehbaren Grund geben, jetzt nicht wenigstens ein paar Schritte in die gewünschte und notwendige Richtung zu gehen? Glaubt wirklich jemand, durch eine Schwächung der GRÜNEN die Klimarettung zu beschleunigen? Wie soll das gehen? Durch eine Weltrevolution?

Also hört bitte auf, vor der Wahl Stimmung gegen die GRÜNEN zu machen. Später könnt ihr sie immer noch wegen ihrer Kompromisse kritisieren.

Wahlkampf für 60+

Der aktuelle Werbespot der GRÜNEN wird sehr kontrovers diskutiert. Er soll mit einer Umdichtung von “Kein schöner Land” die interessante Wählergruppe der Senioren und Seniorinnen ansprechen.

Fast zeitgleich wird der Tod des 80-jährigen Stones-Drummers betrauert – von genau der Generation, die angeblich Volkslieder von 1840 braucht,  um die (vermeintliche) kulturelle Distanz zu den GRÜNEN zu überwinden.

Wie jung (oder ahnungslos) muss man als Wahlkampfteam sein, wenn man solche inneren Bilder für die Menschen hat, die ihre Jugend in den 60-iger oder 70-iger Jahren verlebt haben?