
Dieses Buch ist zugleich klug, faszinierend, anstrengend und auch ein bisschen nervig.
SNYDER ist ein populärer amerikanischer Historiker, der sich schwerpunktmäßig auch mit der osteuropäischen Geschichte und autokratischen Systemen beschäftigt hat; er ist auch als politischer Intellektueller Teil des gesellschaftlichen Diskurses.
“Freiheit” ist ganz offensichtlich das Lebensthema des Autors: Sein Buch ist voller autobiografischer Bezüge, greift philosophische und literarische Grundlagentexte auf, entwirft eine eigene Theorie der Freiheit und stellt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Verteidigung und Ausweitung der Freiheits-Optionen in Gegenwart und Zukunft dar.
Freiheit stellt für den Autor den obersten Wert dar, so eine Art Lebenselixier und Voraussetzung für alle anderen Werte und Tugenden. Für ihn ist ganz entscheidend, dass es nicht in erster Linie um “negative” Freiheit geht (also die Abwesenheit von Zwang), sondern um die aktiven Gestaltungsmöglichkeiten in einer konkreten gesellschaftlichen Situation.
Der Hauptteil seines Buches besteht in der Ausarbeitung von 5 grundlegenden Faktoren, durch die Freiheit – seiner Überzeugung nach – bestimmt und ermöglicht wird:
– Souveränität (Kontrolle über den Körper und die eigenen Entscheidungen)
– Unvorhersehbarkeit (Raum für kreative und autonome Lebensgestaltung)
– Mobilität (im geographischen und sozialen Sinn)
– Faktizität (die Möglichkeit, sich an Fakten und Wahrheiten zu orientieren)
– Solidarität (erste der soziale Zusammenhalt ermöglicht und sichert persönliche Freiheit)
SNYDER ist ein sprachgewaltiger Autor, dem es zweifellos Freude macht mit starken Begrifflichkeiten ausgiebig zu arbeiten und zu spielen. Er schöpft die sprachlichen Möglichkeiten seiner Argumentationslinien bis an die Grenzen aus, schreckt dabei auch vor einer gewissen Redundanz und gelegentlichen Überfrachtungen nicht zurück.
Die Form seiner Darstellung hat etwas Apodiktisches: SNYDER ist sich seiner Sache ganz offenbar immer ganz sicher – fragende oder vermutende Gedanken sind seine Sache nicht. Eine Tendenz zur Selbstbezogenheit bzw. Selbstverliebtheit kann man dem Text nicht ganz absprechen…
Der Autor bleibt keineswegs auf der abstrakten Ebene stecken: Es geht ihm immer wieder auch um konkrete Ausgestaltungen der gesellschaftlichen Realität – vom lokalen Journalismus, über ökologische Verantwortung bis in die Bildungspolitik. Konkret fordert er seine Leserschaft zur aktiven Mitarbeit am demokratischen Gemeinwesen auf.
Nebenbei erfährt man von SNYDER übrigens auch eine Menge über zeitgeschichtliche Prozesse und Ereignisse; Explizit nimmt der Osteuropa-Experte Bezug auf die jüngere Geschichte der Ukraine, auf Putins Russland und auf die erste Trump-Präsidentschaft. Man bekommt einen nachhaltigen Eindruck davon, was dieser Freiheits-Fan wohl zu dem anstehenden Trump-Revival denken und sagen würde…
Dieser Text enthält eine Vielzahl von intelligent und kreativ formulierten Gedanken und Erkenntnissen, denen man sich als aufgeklärter, weltoffener und menschenfreundlicher Zeitgenosse kaum entziehen kann bzw. möchte. Oft denkt man, dass SNYDER einem “aus der Seele” spricht.
Und trotzdem könnte man es an bestimmten Punkten als einen “Tuck zu viel” empfinden – zu viel Wiederholungen, zu viel Eigenbezug, zu viel Emphase, zu viel Selbstüberzeugung.
Der Text könnte sicher davon profitieren, um ca. 20% gekürzt zu werden.
“Über Freiheit” bleibt ein lohnendes Leseerlebnis. man sollte sich allerdings auf den etwas ausladenden Stil des Autors einstellen.
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