“Die Himmelsrichtungen” von Jo LENDLE

Bewertung: 4.5 von 5.

Dieses Buch über eine junge, mutige, emanzipierte Frau wurde von einem Mann geschrieben und wird hier von einem alten weißen Mann rezensiert. Kann das gutgehen?

Dieses Buch handelt deshalb vom Fliegen, weil sich die Protagonistin – eine reale Person namens Amelia Earhart, als Weg zu ihrer Selbstfindung, zu ihrem Ausbruch aus Rollenklischees und zum Ausleben ihres unbändigen Freiheitsbedürfnisses spektakuläre Grenzerfahrungen am Steuerknüppel von Flugzeugen gewählt hat. Wäre sie durch ihre Energie, ihre Abenteuerlust und Tollkühnheit in eine andere Richtung getrieben worden, wäre möglicherweise ein Buch über eine Artistin oder Bergsteigerin entstanden.
Obwohl es also vermeintlich thematisch um den Menschheitstraum “Fliegen” geht, handelt das Buch im Kern von einer sehr besonderen Frau und ihrer faszinierenden Biografie.

Wie man dem Cover des Buches entnehmen kann, befinden wir uns nicht im Zeitalter der großen Passagier-Jets, sondern in der Anfangsphase der Fliegerei, in der die Maschinen noch winzig, extrem unkomfortabel und in einem kaum mehr vorstellbaren Maße den Kräften der Natur ausgeliefert waren.
Natürlich war die abenteuerliche und extrem gefährliche Sache damals (in den 20iger Jahren) zunächst eine reine Männerdomäne. So gab es wohl kaum einen anderen Bereich, in dem die ersten weiblichen Akteure mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten.
Amelia war die erste Frau, die bei einer Atlantik-Überquerung mitflog; einige Jahre später (1932) überquerte sie den Ozean im Alleinflug.

Das Buch selbst beginnt allerdings mit dem letzten ultimativen Abenteuer: dem 1937 gestarteten Versuch, den gesamten Erdball in Äquatornähe zu umfliegen. Von seinem offenen Ende aus verfolgen wir die entscheidenden Stationen dieser faszinierenden Frauen-Biografie entgegen der Chronologie, rollen also die Entwicklung dieser Ausnahme-Persönlichkeit von hinten auf.
Dabei lernen wir eine Frau kennen, die nicht nur an technischen und körperlichen Grenzen rüttelt, Rollenerwartungen auf den Kopf stellt und so zu einem weltweiten Vorbild für die Idee der Emanzipation wird. Experimentierfreudig und kompromisslos lebt sie auch ihre Vorstellungen von Beziehung, Lust und Liebe aus – einschließlich eines sehr persönlichen Kontaktes zur Präsidenten-Gattin Eleanor Roosevelt.

Grundlage für dieses packende und lebendige Buch bilden persönliche Aufzeichnungen der Protagonistin. Fairerweise macht der Autor selbst darauf aufmerksam, dass somit in großen Teilen Amelia Earhart dieses Buch selbst verfasst habe.
Trotzdem gebührt dem Schriftsteller und Verleger LENDLE die Anerkennung für die Ausgestaltung dieses berührenden biografischen Romans. Allein die ungewohnte Zeitperspektive ermöglicht eine erhellende Betrachtung der inneren Logik der jeweiligen Entwicklungsschritte. Von dem (bekannten) Ergebnis her, gewinnen sich die vorausgegangenen Episoden eine raffinierte Zwangsläufigkeit.

Das Lesen dieses Buches bereitet auf mehreren Ebenen Vergnügen: Es liefert auf unterhaltsame Art zeitgeschichtliches Wissen, feiert mir psychologischem Feingefühl eine wahrhaft starke Frauen-Persönlichkeit, lässt aber auch einen Blick auf die Abgründe einer schier grenzenlosen Risikobereitschaft zu.
Es erscheint nur schwer vorstellbar, dass jemand das Lesen dieses Buches ernsthaft bereuen könnte. Das gilt keineswegs nur für Frauen – Autor und Rezensent bürgen dafür.

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“Krise” von Ulrich SCHNEIDER

Bewertung: 4 von 5.

In seinem aktuellen Buch liefert der langjährige Verbandsvorsitzende SCHNEIDER (Paritätischer Wohlfahrtverband) eine umfassende Analyse der Sozialpolitik der letzten ca. 5 Jahre.
Er begründet mit dieser Bilanz seine Überzeugung, dass die „Krise“ unserer Gesellschaft nicht nur das (unvermeidbare) Ergebnis externer Herausforderungen ist, sondern auch eine Folge einer verfehlten Sozial- und Wirtschaftspolitik. Diese habe nämlich mit unzureichenden bzw. falsch adressierten Maßnahmen reagiert und so die soziale Spaltung unserer Gesellschaft noch verschärft und neue Gräben aufgerissen. Seine Kernthese lautet dabei: Es mangelte an Gerechtigkeit und Solidarität gegenüber den wirklich Bedürftigen, den Armen.

Zunächst erfolgt eine kritische Betrachtung der Einzelentscheidungen, die seit Beginn der Corona-Pandemie umgesetzt wurden. Gestützt auf umfangreiches Zahlenmaterial entwickelt SCHNEIDER seine Argumentationslinie: In einer Vielzahl von Ausgleichs- und Unterstützungsprogrammen seien – zunächst noch von der Merkel-Regierung – riesige Summen eingesetzt worden, insbesondere um die Wirtschaft zu stabilisieren und Kurzarbeit zu finanzieren. Es werden dann auch alle weiteren Maßnahmen und Hilfsprogramme der Ampel-Regierung im Kontext von Pandemie, Energiepreisentwicklung und Inflation daraufhin überprüft, in welchem Umfang und in welcher Reihenfolge sie jeweils welche Zielgruppen erreicht haben. Auch diese Bilanz – so ist SCHNEIDER ganz sicher – fällt durchweg zuungunsten der Menschen in prekären Lebensverhältnissen aus.

Auf welchem politischen Hintergrund ist das zu erklären?
Hier kommt die Erfahrung des langjährigen Sozialfunktionärs zum Tragen: SCHNEIDER klärt seine Leserschaft ausführlich über die Interessens-, Abhängigkeits- und Machtkonstellationen der Parteien, Verbände und sonstigen Akteure auf, die für die Ausgestaltung der Sozialpolitik in unserer Republik Bedeutung haben. Auch dabei fokussiert er auf die jeweiligen Prioritäten und kommt zu dem Schluss, dass zwar die Arbeitnehmer eine starke Lobby an ihrer Seite haben, die Interessen der auf Transferleistungen angewiesenen Menschen aber oft hintenangestellt werden.
Dabei vergisst er nicht, auf die – seiner Überzeugung nach – skandalösen Versuche hinzuweisen, mit denen wirtschaftsnahe konservative und neoliberale Kreise die Bedürftigkeit mit Begriffen wie „Faulheit“ und „Betrug“ in Verbindung bringen. Dabei ist auch die (erste Phase) der Auseinandersetzung um das Bürgergeld schon Thema.
Auch eine Analyse der – weitgehend erfolglosen – überparteilichen, zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bereich der Armutsbekämpfung gehört zu dem von SCHNEIDER gelieferten Gesamtüberblick. Er thematisiert ebenso sein vorübergehendes parteipolitisches Engagement (bei den LINKEN); auch dies liest sich nicht wie eine Erfolgsstory.

Man merkt dem Autor seine Enttäuschung über die ausbleibenden Fortschritte bei der Armutsbekämpfung an; gelegentlich schimmert vielleicht sogar eine Spur Resignation um die Ecke…
Aber SCHNEIDER wäre nicht SCHNEIDER, wenn er an Aufgeben denken könnte. Im Gegenteil: Im Schlussteil seines Buches ruft er alle potentiellen Bündnispartner zum Weiterkämpfen auf und erstellt dafür einen umfangreichen Forderungs- bzw. Maßnahmenkatalog.

Der größte Verdienst dieses faktenreichen und meinungsstarken Buches liegt darin, das ganz grundsätzliche Versagen der wirtschaftlichen und politischen Eliten dieses Landes zu thematisieren. Wie kann es sein, so fragten sich in den letzten Krisenjahren viele und so fragt sich auch SCHNEIDER, dass es keinen ersthaften Versuch gab, den wahrhaft historischen Herausforderungen durch Pandemie, Krieg und Klimawandel mit einem nennenswerten solidarischen Beitrag der Vermögenden und Reichen zu begegnen? Wie kann es sein, dass noch nicht einmal krisenbedingte Sondergewinne zumindest anteilmäßig zur Finanzierung der Bewältigung herangezogen wurden? Wie kann es sein, dass Zahl und Vermögen der Milliardäre in der Krisenzeit noch deutlich zugenommen haben, während die Ärmsten eher mit Almosen abgespeist wurden?
Warum scheint der Gedanke so abwegig zu sein, dass es für diejenigen, die von dem Funktionieren unseres Gemeinwesens mehr als alle anderen profitiert haben, eine Ehre und eine moralische Pflicht darstellen könnte, in solchen Krisen einen Sonderbeitrag zur Bewältigung der Gemeinschaftsaufgaben zu leisten. Warum traut sich (fast) niemand, das einzufordern? Warum gilt es in den einschlägigen Kreisen nicht als „hipp“ und „trendy“, in gesellschaftlichen Notlagen Verantwortung zu übernehmen? Worum denken auch Sie beim Lesen dieser Zeilen zuerst daran, wie blauäugig und naiv solche Gedanken sind? Sind solidarische Gesellschaften bloße Utopie?

Inzwischen ist wohl klargeworden: Dieser Text wurde nicht aus wissenschaftlicher oder journalistischer Perspektive geschrieben. Hier äußert sich einer der wenigen wirklich lautstarken und unermüdlichen Armuts-Lobbyisten, der sich nicht durch parteipolitische Abhängigkeiten die Eindeutigkeit seiner Kritik und seiner Forderungen nehmen lässt. Seine Parteilichkeit steht in keinem Moment in Zweifel, die angeführten Zahlen und Fakten dienen durchweg der Untermauerung seiner Argumentation.
Das ist selbstverständlich legitim und angesichts der geradezu überwältigenden politischen und medialen Schlagkraft der neoliberalen Weltsicht wohl auch mehr als verständlich. Allerdings hat die Eindeutigkeit seiner Position auch einen Preis: Man wird SCHNEIDER kaum zugutehalten können, dass er auch nur einzelne Aspekte einer alternativen Sichtweise zu berücksichtigen oder gar integrieren versucht: Sein Weltbild zeigt keine Risse!

Man hätte sich z.B. in einem Buch, in dem es ganz zentral um Armutsbekämpfung geht, zumindest eine kurze Auseinandersetzung mit verschiedenen Armutsdefinitionen gewünscht, über die im politischen Raum ja durchaus gestritten wird. So wird z.B. immer wieder bezweifelt, ob das (in der Regel zugrunde gelegte) Konzept der „relativen“ Armut wirklich dazu geeignet sei, prekäre Lebenssituationen angemessen zu erfassen.
Der Ansatz, gesellschaftliche Armut über öffentliche Infrastruktur zu bekämpfen, wird zwar kurz genannt, spielt aber in dem Text insgesamt leider kaum eine Rolle. In einer Gesellschaft, die Wohnen, Arbeiten, Bildung, Kultur, Teilhabe und Mobilität anders, also gerechter und für alle gleichermaßen zugänglich organisieren würde, müsste sich die soziale Frage nicht so ausschließlich um die Höhe von Transferleistungen drehen. Wenn alle gesellschaftlichen Gruppen von einem solchen öffentlichen Wohlstand profitieren könnten, würden Einkommensunterschiede zwar nicht verschwinden, deren Bedeutung für die individuelle Lebensqualität aber deutlich abnehmen. Natürlich wäre dies alles auch von einer gerechten und solidarischen Verteilung des insgesamt gesellschaftlich generierten Reichtums abhängig. In der politischen Diskussion würde es aber sicherlich einen großen Unterschied machen, ob es um eine Umverteilung von einem Portmonee ins andere oder um die Gestaltung einer gemeinschaftlichen Daseinsgrundlage ginge.

Vermissen könnte man in diesem Text auch Überlegungen, die über die Logik der bestehenden Sozialsysteme hinausweisen. Zwar wird die Auseinandersetzung über die Transaktionssteuer exemplarisch erwähnt, aber die sich schon abzeichnenden Folgen der durch die KI- und Robotik-Revolution weiter beschleunigten technologische Transformation werden nicht thematisiert. Wer sollte angesichts dieser Dynamik heute noch seriös prognostizieren, wie lange soziale Sicherung noch an individuellen Arbeitsbiografien ausgerichtet werden kann. Es wird notwendigerweise völlig andere Wege geben müssen, gesellschaftlich generierten Reichtum so zu verteilen, dass für alle ein menschenwürdiges Dasein gesichert wird – unabhängig vom jeweiligen Bedarf an menschlichen Arbeitskräften. Eine zukunftsweisende Sozialpolitik müsste hier baldmöglichst Visionen entwickeln, die verhindern, dass sich die Gewinne bis zur Unendlichkeit in den Taschen einer Klasse von Superreichen bzw. den Eignern der Tech-Konzerne sammeln.

So ist das Buch von SCHNEIDER zweifellos eine faktenreiche und extrem informative Bilanz eines erfahrenen und engagierten Insiders. Ein Plädoyer für konsequente Armutsbekämpfung und gerechte Lastenverteilung könnte kaum klarer ausfallen.
Dass in keiner der sozialpolitisch umstrittenen Fragen Spuren von Ambivalenzen oder Zweifel auftauchen, wird vermutlich nur einen kleinen Teil der Leserschaft enttäuschen.
Ein etwas weiterer Blick in die Herausforderungen einer weiter digitalisierten Zukunft wäre sicher eine lohnende Abrundung gewesen.

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23.08.2024 Die amerikanische Woche

Was für eine Dröhnung!
Der Krönungs-Parteitag der Demokraten hat ein Amerika zelebriert, das an Intensität, Emotionalität und Selbstvergewisserung kaum noch zu übertreffen ist.

Ja, ich habe tatsächlich alle relevanten Reden in voller Länge gesehen. Es waren mindestens zehn perfekt inszenierte Auftritte vor einer zuverlässig euphorischen Menschenmenge – ausgestattet mit einem Meer an jeweils passenden Schildern.
Warum? Ich konnte mich dem Zauber dieser einladenden Botschaften und der darin enthaltenen positiven, zukunftsbezogenen und menschenfreundlichen Grundeinstellungen einfach nicht entziehen. Ehrlich gesagt: Ich konnte nicht genug davon bekommen!

Wie kann es sein, dass ein durchaus amerikakritischer Mensch, der üblicherweise auf den typischen Überschwang-Patriotismus der Amis eher mit Skepsis und Kopfschütteln reagiert, sich so weitgehend einer professionell choreografierten Polit-Show ausliefert?

Nun: Ein Grund war wohl dieser so total wohltuende Kontrast zu den toxischen Anfeindungen eines Donald Trump. Es ist wirklich gut gelungen, dem Lügen- und Hassbaron ein positives und solidarisches Welt- und Menschenbild entgegenzusetzen.
Ja, es war alles ziemlich dick aufgetragen, mit einer ordentlichen Schicht Kitsch obendrauf: die Liebe zur besten aller Nationen, die selbstlose Bereitschaft, dem Land und allen Menschen zu dienen, die Glorifizierung von Familie, Nachbarschaft und Armee. Kein Platz für Selbstzweifel oder Selbstkritik.
Aber die Themen und Werte waren ja trotzdem sympathisch und humanistisch: Es ging viel um Würde, um Charakter, um Respekt, um Empathie und Gemeinschaft. Daran ist erstmal nichts verkehrt!

Doch die emotionale Wirkung dieser extremen Wohlfühl-Dosis lässt sich wohl nur erklären, wenn man den Kontrast der bundesrepublikanischen Wirklichkeit des Sommers 2024 dagegenhält: Was würde man darum geben, wenn nur ein Bruchteil dieser optimistischen und energiegeladenen Aufbruchstimmung in unserem Lande zu spüren wäre! Wie erholsam und hoffnungsvoll wäre es, wenn es eine vergleichbar große Bewegung mit einem zukunftsbezogenen Ziel gäbe?
Ich habe einen Impuls gespürt, doch am liebsten jetzt in den enthusiastischen Wahlkampf der USA einzusteigen – statt darauf hier in Deutschland sorgenvoll darauf zu hoffen, dass uns das Schlimmste irgendwie erspart bleibt.

Es ist ein Trauerspiel, dass wir die positiven Visionen so ziemlich verloren haben. Und es ist nur schwer auszuhalten, dass dafür in erster Linie die kleinste (aber durchsetzungsfähigste) Ampelpartei die Verantwortung trägt.
Vielleicht schwappen ja – ausgelöst durch einen möglichst klaren Sieg über Trump -ermutigende Vibrations über den Atlantik und erreichen sogar unser frustriertes und demotiviertes Land.
Meine Zuversicht zielt jedenfalls im Moment eher auf die Entwicklungen in Amerika als auf ein Wunder bei uns.

“Kopf hoch” von (Prof. Dr.) Volker BUSCH

Bewertung: 3.5 von 5.

Der Psychiater BUSCH liefert hier den zweiten Band aus der “Kopf-Serie” ab: Diesmal soll der Kopf nicht frei (dazu Infos hier), sondern hoch sein. Warum hoch, wird ausführlich erklärt, ist aber an dieser Stelle nicht wichtig.
Es handelt sich wiederum ein um ein niveauvolles Lebenshilfe-Buch – auch diesmal mit dem Ziel, über die Einflussnahme auf unser Gehirn unsere geistige und psychische Gesundheit zu fördern. Er benutzt dazu das Bild von einem “mentalen Immunsystem”, das er mit den angebotenen Strategien stärken, also resilient machen will.

Seine Themenschwerpunkte sind diesmal: Der Umgang mit Unsicherheiten (“mal freiwillig die eingetretenen Pfade verlassen”), den Blick auf das Gute und die Chancen richten (“sich vor dem Tsunami an negativen Informationen abschotten”), Grübeleien und Hektik abschalten (“sich und seinem Gehirn Auszeiten schenken”). Auch um die Vorteile von Heiterkeit/Humor und Zuversicht (statt Ängstlichkeit) geht es in aller Ausführlichkeit.

Der Autor holt seine Leserschaft im Alltag ab, schafft es, gleichzeitig niederschwellig zu schreiben und trotzdem immer wieder Bezug zu wissenschaftlichen Untersuchungen bzw. Befunden einzustreuen. Dadurch bekommt das Buch einen seriösen Anstrich, der durch Informationen über die Funktionsweise unseres Denkapparates und gelegentliche Erfahrungsberichte aus dem psychiatrischen Berufsalltag noch unterstrichen wird.
Sein Stil ist aber insgesamt eher persönlich und Geschichten erzählend als journalistisch sachlich. Man könnte auch sagen: Dieser Autor hat einen gewissen Mitteilungsdrang und schmückt seine Themenbereiche sehr großzügig aus – was unweigerlich zu einer gewissen Redundanz führt. Wenn es auch löblich ist, am Ende eines Kapitels nochmal zusammenzufassen: Gelegentlich beschleicht einen der Eindruck, dass diese Kurzform vielleicht auch gereicht hätte…

“Kopf hoch” ist ein geeignetes Buch für Menschen, die Anregungen für alltagstaugliche und pragmatische Möglichkeiten suchen, etwas mehr Ruhe, Gelassenheit, Zuversicht, Mut und Heiterkeit in ihr Leben fließen zu lassen. Am besten bringen sie die Bereitschaft mit, sich vertrauensvoll von einem sympathischen und wohlmeinenden Experten an die Hand nehmen zu lassen. Dann kann man den – manchmal etwas ausschweifenden – Gedankengängen entspannt folgen und kann sicher sein, gut unterhalten und nicht überfordert zu werden – und trotzdem einiges zu lernen.
Es wird allerdings Menschen geben, denen das – trotz Faktenbezug – alles ein wenig zu seicht rüberkommt, denen der Optimismus (“wir sehen die Dinge viel zu negativ”) ein bisschen übertrieben erscheint und die manchmal hinter dem Wissenschaftler eher den leicht oberlehrerhaften Alleswisser durchschimmern sehen, der nicht zuletzt auch seine persönlichen Lebensweisheiten mit großem Vergnügen wortreich verbreitet.
Am besten entscheiden Sie selbst, welcher Lesertyp Sie eher sind…

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“Danke, nicht gut” von Franz HIMPSL und Judith WERNER

Bewertung: 3.5 von 5.

Dieses Buchprojekt erweckt von der ersten Seite ab einen persönlichen, privaten Eindruck. Hier denken zwei Gleichgesinnte über Wege nach, mit welchen Grundhaltungen man den Herausforderungen des menschlichen Daseins wohl am sinnvollsten begegnen könnte.
Angestoßen wurde dieses Vorhaben durch den offensichtlichen Widerspruch zwischen den realen Belastungen und existentiellen Zumutungen des Lebens (hier in Form einer Krebserkrankung) und den oft marktschreierischen Statements, mit denen der grenzenlose Glaube an die Machbarkeit von Erfolg, Glück und Selbstvervollkommnung propagiert wird.
Kurz gesagt: Das Autorenpaar glaubt nicht daran, dass mithilfe von Optimismus und Selbstsuggestion alles erreichbar ist, man sich also den unvermeidlichen tragischen Aspekten des Lebens durch das richtige Mindset entziehen kann.

Persönlich wirkt nicht nur der Zugang zum Thema, sondern auch die Form der Betrachtung. HIMPSEL und WERNER berühren zwar ein weites Spektrum von Inhalten aus den Bereichen Psychologie und Philosophie, handeln jedoch die vielfältigen Aspekte nicht im Stil einer systematischen Analyse ab, sondern durchstreifen die Landschaft der Einstellungen, Haltungen und Glaubenssätze im Rahmen einer langen, ruhig dahinfließenden Plauderstunde.
Dabei mixen sie Lebensweisheiten der angewandten Philosophie, wissenschaftliche Untersuchungsbefunde und persönliche Erfahrungen bzw. Erkenntnisse zu einem kohärenten roten Faden zusammen. Was dabei herauskommt, ist viel mehr als eine Abrechnung mit den Abstrusitäten der Positiven Psychologie: Letztlich entfalten die Autoren nichts weniger als eine Art ganzheitlichen “Lebensratgeber”.

Im Laufe des Parcours durch das Labyrinth der – letztlich toxischen – Haltungen und Erwartungen, die man dem Leben gegenüber entwickeln kann, lassen die beiden kaum einen Aspekt aus: Es geht um das Werben der Motivationstrainer (“anything goes”), um die Verantwortung für die eigenen Kognitionen (“du musst nur richtig denken”), um die Relativierung aller äußeren Geschehnisse (“wichtig ist nur, was du daraus machst”), um den unstillbaren Drang zur Perfektionierung und Selbstoptimierung (“man kann immer noch besser werden”), um die Manipulationstechniken des NLP, um die steigende Angst, etwas zu verpassen oder falsch zu entscheiden (“lebe das bestmögliche Leben”),
Dieser Welt des zwanghaften Optimismus und der permanenten Perfektionierung stellen die Autoren zunächst eine radikale Negation entgegen. Die Antithese heißt bei ihnen “Zynismus” (oder Skeptizismus). Ganz im Sinne der Dialektik führen sie aus, dass eine solche Lebenseinstellung (natürlich) auch nicht die Lösung sein kann.: Depressivität und Pessimismus haben ihren Preis.

Was dann zwangsläufig auf die Synthese, also die goldene Mitte hinausläuft: Die hat für die Autoren viel mit Realismus, Pragmatismus, Gelassenheit, Selbstbeschränkung, Rationalität, Wissenschaftlichkeit, Anerkennung von Begrenzungen und Endlichkeit, der Kunst der kleinen Schritte und alltäglichen Freuden zu tun.
Auf dem Weg dahin wird noch die ein oder andere Schleife durch die Philosophiegeschichte geflogen – Diogenes, Sokrates, Marc Aurel, Kierkegaard, Schopenhauer, Kant, Beauvoir, Hume, Nietzsche, Heidegger und viele andere lassen grüßen.
Im Schlusskapitel gewinnt dann doch eine – auf realistisches Maß reduzierte – optimistische Lebenssicht. Es gibt sie ja wirklich – die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und im Zweifel sollte man sie in positiver Richtung nutzen – aber mit Maß, Gelassenheit und Vernunft.

Wer sich gerne mal treiben lässt, sich vertrauensvoll in die Hände kundiger Reiseführer begibt und auch vor überraschenden Wendungen nicht bange ist – der kann es mit dem Autoren-Duo mal versuchen. Man muss die Mischung mögen und darf sich auch von einem zwischenzeitlichen Plauderton nicht abschrecken lassen.
HIMPSEL und WERNER bieten ihre Quintessenz im Umgang mit den großen Fragen des Lebens an. Anregend ist das auf jeden Fall.

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12.08.2024 Wie tief kann man noch sinken?

Es ist kaum zu fassen: Eine einstmals respektable Freiheits-Partei ist sich nicht zu schade, als Lobbyverein für “mehr Autos in den Innenstädten” auf dem tiefsten denkbaren Niveau notzulanden.

Während weltweit zukunftsweisende Projekte für die Vermenschlichung des urbanen Lebens gefeiert werden (u.a. in der Olympiastadt Paris); spricht sich die Blockiererpartei FDP gegen Fußgängerzonen und Fahrradwege aus.

Während überall Stadtplaner, Klimawissenschaftler und Verkehrsexperten an kreativen Lösungen für die Vereinbarung von Mobilität und Nachhaltigkeit tüfteln, will Lindner das Parken in den Stadtkernen verbilligen bzw. kostenlos machen.

Das ist keine ernsthafte Politik mehr – das ist ein klimapolitischer Amoklauf, der unser Land immer weiter aus der Innovationsspitze auf die Resterampe führt. Die Welt sorgt sich um jährlich neue Hitzerekorde – und die FDP um die Zukunft von Motorsport und Formel 1.

Es wird Zeit, daß alle alle seriösen Liberalen aufstehen und diesen heruntergekommenen Verein verlassen. Es ist zu hoffen, dass diese Art von Pseudo-Politik selbst den eingefleischten Autofans zu peinlich ist.

07.08. 2024 Amerika und das Duo HARRIS/WALZ

Wenn man sich den heutigen ersten Auftritt des neuen Gespanns in voller Länge anschaut, kann man sich kaum der Aufbruchstimmung erwehren, die von der geballten Energie und der sympathischen Ausstrahlung der beiden ausgeht.
Wie könnte dagegen die toxische Aggressivität eines Donald TRUMP bestehen; das erscheint denkenden und fühlenden Menschen kaum vorstellbar.

Aber der Auftakt war auch ein Lehrstück darüber, wie Amerika so tickt:
Da wabert nicht nur ein Ausmaß an Patriotismus und Selbstüberzeugung durch die Halle, der mitteleuropäischen Bürgern die Schamröte ins Gesicht treiben würde. Es wird natürlich der ewige amerikanische Traum beschworen, in dem man bekanntlich alles erreichen kann, wenn man nur will. Wo sonst auf der Welt könnten schließlich zwei “normale” Mittelschicht-Abkömmlinge auf dem Weg zu den höchsten Staatsämtern sein?!

Doch es kommt noch eine Steigerung: Man traut kaum seinen Ohren in Bezug auf all das, worüber kein Wort verloren wird: Kein Statement zur Außenpolitik, nichts zur gesamten außeramerikanischen Welt! Kein Wort zum Thema Klima oder Nachhaltigkeit! Keins!

Trotzdem kann man nur eines tun: ganz feste die Daumen drücken, dass nicht nur TRUMP verhindert wird, sondern auch seine rechtslastigen und demokratiefeindlichen Konsorten im Kongress durch eine Welle der positiven Energie eine fulminante politische Niederlage erleiden.

“Viel Lärm um Achtsamkeit” von Jacob SCHMIDT

Bewertung: 3.5 von 5.

Viel Text (über 200 S.) über eine Erfahrung, die sich eigentlich typischerweise im Stillen, im Nonverbalen abspielt. Macht das Sinn?
Das kommt darauf an…

Zunächst eine Klarstellung: In diesem Buch lernt man keine Achtsamkeit, erhält keine Anweisungen für die Meditationspraxis, wird nicht dazu angehalten, eine neue Einstellung zu sich, dem Leben oder gar dem Universum zu finden.
SCHMIDT legt eine Analyse, also eine Betrachtung auf Meta-Ebene vor: Das Phänomen Achtsamkeit ist der Gegenstand, die Methode besteht aus Faktensammlung, Reflexion, Einordnung, Bewertung. Das ist auch deshalb so eindeutig, weil hier kein Therapeut, Coach oder Psychologe schreibt, sondern ein Soziologe. Ein größerer Spannungsbogen ist kaum denkbar, als der zwischen der Innerlichkeit von Achtsamkeitserfahrungen und der gesellschaftlichen Außenperspektive.
Da der Autor eigene Achtsamkeits- bzw. Meditationserfahrung einbringt, trägt er diesen Spannungsbogen in sich selbst. Und das ist auch gut so: Denn ohne diesen persönlichen Zugang wäre dieser Blick auf ein Zeitgeist-Phänomen eine bloße intellektuelle Spielerei.

Das Buch hat verschiedene Facetten:
– SCHMIDT berichtet von eigenen Erlebnissen im Kontext von Achtsamkeit,
– er betrachtet systematisch (kulturhistorisch) die verschiedenen Stränge und inhaltlichen Ausgestaltung der Einflüsse, die sich in der aktuellen Achtsamkeits-Welle spiegeln,
– er ordnet den Hype um die Achtsamkeit in den zeitgeschichtlichen und politischen Kontext unserer Beschleunigungs-Gesellschaft ein,
– er betrachtet die Chancen und Hoffnungen, mit Hilfe der Achtsamkeit ein irgendwie “erfüllteres” Leben zu gestalten,
– er analysiert die Gefahren, die in einem Rückzug auf Privatheit und Innerlichkeit verbunden sein könnten und
– schlägt schließlich einen Kompromiss vor, in dem die Achtsamkeit einen klar begrenzten, aber doch respektablen Platz einnehmen könnte.

Schon im Vorwort von Hartmut ROSA (eine passende Wahl!) wird die grundlegende Frage angedeutet, die auch SCHMIDT umtreibt: Im welchem Umfang kann die Suche nach dem inneren Selbst, nach der Unmittelbarkeit von Sinneserfahrungen, nach Stille und Entschleunigung missbraucht werden? Wann schlägt die Sehnsucht nach der inneren Ruhe in eine stumpfe Privatheit bzw. in eine ausbeuterische, rein funktionale Selbstoptimierung um?

Das alles geht ziemlich stark ins Detail und hat zwischendurch eher wissenschaftlichen als journalistischen Charakter.
Beispielsweise nennt SCHMIDT bei den Darstellungen der asiatischen Wurzeln immer wieder auch die ursprünglichen Begrifflichkeiten. Er nimmt seine anfängliche Systematik von drei Hauptrichtungen der Achtsamkeitsbewegung ernst und bezieht sich – wie in einem guten Fachbuch üblich – im späteren Text immer wieder darauf.
Insgesamt entsteht so eine Informations- und Reflexionsdichte, die in einem gewissen Widerspruch zu dem Gegenstand und den damit verbundenen Erwartungen der Leserschaft stehen könnte. Das gilt übrigens auch für den großen Raum, den gesellschaftliche und politische Überlegungen in dem Text einnehmen. Gewisse Redundanzen waren dabei offenbar nicht zu vermeiden…

Es kommt also darauf an, was man will und sucht: Wer Achtsamkeit einfach “nur” verstehen, lernen und leben möchte, findet jede Menge geeignetere Quellen. Wenn jemand mal einen ersten distanziert-kritischen Blick auf das Phänomen werfen möchte, könnte er/sie durch die Gründlichkeit und Detailliertheit der Betrachtungen ein wenig frustriert werden. Wer sich allerdings bewusst der soziologischen Perspektive zuwenden möchte oder sich selbst schon länger die Frage stellt, ob dieser Weg in die “Innerlichkeit” vielleicht mit problematischen Nebenwirkungen erkauft werden muss, findet hier einen sorgfältig und kenntnisreich vorbereiteten Boden.

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“Der Geist aus der Maschine” von Andrian KREYE

Bewertung: 5 von 5.

Dieses Buch ist ein echter Glücksfall: Das Thema, der Schreibstil, die Informationstiefe, der Unterhaltungswert, die Aktualität!
Eigentlich ist damit alles gesagt: Wer sich für die Geschichte unserer digitalen Welt interessiert – insbesondere auf dem Hintergrund des Hypes um die Künstliche Intelligenz – sollte dieses Buch lesen (oder hören).
Man versteht danach einfach viele Dinge besser!

KREYE, etablierter Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, ist tatsächlich so etwas wie ein Zeitzeuge. Er war schon früh persönlich involviert, hat lange in den USA gearbeitet und viele relevante Digital-Pioniere persönlich kennengelernt. Auch wenn er selbst nie ein Technik-Nerd war, so kann er doch glaubhaft vermitteln, dass er mit der Geschichte der digitalen Revolution auch ein wenig die Geschichte seines eigenen Lebens erzählt. Dabei bekommen die biografischen Bezüge aber keine störende Intensität oder werden gar zur Selbstbespiegelung.

Obwohl dieses Sachbuch die Entwicklung einer Technologie beschreibt, handelt es nicht von Prozessoren, Speichermedien und Datenvolumen; mit solchem Kram hält sich KREYE nicht auf. Dem Autor geht es um die kulturelle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Einordnung eines historischen Phänomens, das er mit der Zähmung des Feuers, der Erfindung des Buchdrucks und der Elektrifizierung unserer Welt vergleicht. Mit kleineren Maßstäben – so ist KREYE überzeugt, wird man der aktuellen Umwälzung unseres Lebens nicht gerecht.
Statt mit technischen Superlativen um sich zu werfen, fängt KREYE sensibel den “Spirit” der verschiedenen Phasen ein, in denen entscheidende Weichen für die aktuelle KI-Revolution gestellt wurden. Dabei beginnt er in den 50-iger Jahren im Media-Lab des MIT, verfolgt die Verzahnung zwischen der alternativen Westcoast-Hippie-Bewegung mit den weitreichenden Prophezeiungen der ersten Technik-Gurus, malt den kulturellen Umbruch aus, der mit der Modernität und Technikoffenheit der Ära Clinton/Al Gore verbunden war, lässt uns an den Anfängen des Silicon-Valleys und ihrer zukünftigen Gründer-Milliardäre teilhaben, schildert die erstaunliche deutsche KI-Grundlagenforschung in den 90-igern und schafft – über den Siegeszug der Social-Media und deren sozialen und politischen Folgen – eine lückenlose Verbindung zu den Chatbots, die ab 2023 plötzlich für jeden Privatanwender verfügbar sind und so die Welt zum Staunen und zum Fürchten bringen.
Man könnte auch sagen: Der Autor versteht es, mit seiner Art, Geschichten zu erzählen, aus dem – für die meisten sowieso unverständlichen – technischen Prozessen menschliche und kulturelle Zeitgeschichte zu destillieren. So wird Technologieentwicklung lebendig und erfahrbar, eingebettet in und getragen von gesellschaftlichen Trends und Visionen.

KREYE bietet eine schier grenzenlose Fülle von Inhalten und Perspektiven, ohne jemals den gut ausgeleuchteten journalistischen Pfad zu verlassen, der Orientierung und Struktur sicherstellt. Dabei trifft er genau den Ton zwischen seriöser Sachdarstellung und unterhaltsamer Aufbereitung, der das Lesen (Hören) dieses Buches zu einem intellektuellen und emotionalen Vergnügen macht.

Und die Kritik? Natürlich könnte man manche der vorgestellten Verästelungen als zu stark ausgeschmückt empfinden (z.B. die Story über eine bekannte rechtsradikale Website oder über den Facebook-Aufstand im Arabischen Frühling). Für diejenigen, die in einem solchen Buch eher nüchterne technische Fakten suchen, die persönliche Bezüge des Autors eher als störend empfinden und die mit den Querverweisen auch zu den jeweiligen Phasen der Pop-Kultur nichts anfangen können, könnte dieses Werk tatsächlich eine suboptimale Wahl sein. Ganz sicher würden aber auch diese potentiellen Leser/innen eine Menge über ca. 70 Jahre Technik- und Zeitgeschichte lernen.

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“Die geheimste Erinnerung der Menschheit” von Mohamed Mbougar SARR

Bewertung: 3.5 von 5.

Der viel gelobte und preisgekrönte Roman des senegalesischen Autors kann zweifellos als ein gewichtiges Werk beschrieben werden: Dafür spricht sein Umfang (engbedruckte 450 Seiten), aber insbesondere die Sprachgewalt und die Leidenschaftlichkeit seines Stils.

Thematisch geht es um afrikanische Literatur im französischen Exil, noch allgemeiner um die Suche nach Wurzeln und Identität zwischen europäischer Intellektualität und ursprünglichen heimatlicher Prägungen.

Der Autor konstruiert eine tragende Rahmenhandlung, in die er alle Aspekte seiner Betrachtungen einbettet. Sie handelt – welche Überraschung – wiederum von einem senegalesischen Schriftsteller, dessen Erstlingswerk einiges literarisches Aufsehen erregt hat, dann aber wegen Plagiatsvorwürfen in Verruf und später in Vergessenheit geraten ist. Auch die Spur des Autors verliert sich im Nichts.
Der Ich-Erzähler, ein junger Schriftsteller (der Dritte im Bunde) kommt Jahrzehnte später mit dem verschwundenen Buch in Berührung und schildert ausführlich seine Erlebnisse bei dem Versuch, die ominöse und wechselhafte Geschichte von Roman und Autor aufzuklären. Nach und nach lernt er dabei die wichtigsten Bezugspersonen des Verschollenen kennen, so dass sich letztlich die verschiedenen Puzzlestücke zu einer Art Gesamtbild zusammensetzen.

Der Roman handelt zwar von diesem Plot, er lebt aber von der Vielfalt, der Intensität und der kompromisslosen Direktheit, mit denen der Alltag, das Fühlen, die Begegnungen, die Sexualität und die Selbstreflexionen der beteiligten Personen in einer manchmal atemberaubenden sprachlicher Wucht dargestellt wird.
Der unangefochtene Star bleibt dabei die Literatur selbst! Ihre Möglichkeiten und Grenzen, insbesondere im Kontext der Verbindung, der Abgrenzung, des Konfliktes zweier Kulturen wird mit einer Inbrunst diskutiert, die ihresgleichen sucht.

Wenn auch die begeisterten Kritiker-Stimmen ein eindeutiges Bild erzeugen: Der Roman ist keine einfach Lektüre; er will erobert werden. Wer sich auf diesen Feldzug einlässt, sollte Neugier, Ausdauer und Toleranz mitbringen.
Ohne ein ausgeprägtes Interesse an Bikulturalität und der Kunstform Literatur, ohne die Bereitschaft, sich auf ungewohnte, exzessive und gelegentlich auch verstörende Erfahrungen bzw. Schilderungen einzulassen, könnte auf potentielle Leser/innen durchaus eine Überforderungserfahrung warten.

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