“Der Krake, das Meer und die tiefen Ursprünge des Bewusstseins” von Peter GODFREY-SMITH

Bewertung: 4 von 5.

Wenn ein Philosoph ein naturwissenschaftliches Interesse an den biologischen Quellen des Bewusstseins hat und nebenher noch leidenschaftlicher Taucher mit einem Schwerpunkt in der Kraken-Erforschung ist – dann kann es unter günstigen Umständen zu einem Buch wie diesem kommen! Und zwar genau dann, wenn dieser Tausendsassa auch noch das Talent hat und die Motivation aufbringt, seine Erlebnisse, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen in allgemeinverständlicher Form zu vermitteln.

GODFREY-SMITH webt seinen literarischen Stoff aus folgenden Einzelfäden:
– Wir bekommen eine Einführung in die Systematik der biologischen Stammbäume und werden so im Turbotempo durch die Geschichte des Lebens geleitet.
– Der Autor berichtet von diversen Unterwasser-Begegnungen mit einer der interessantesten und geheimnisvollsten Tiergattungen, den Kraken. Die spannendste Frage dabei: Findet Kommunikation zwischen zwei Arten statt, deren Entwicklungs-Wege sich vor ca. 600 Millionen Jahren getrennt haben?
– Wir lernen diese so fremd wirkenden Kreaturen sowohl aus evolutionsbiologischer Perspektive, als auch in ihrem natürlichen Verhalten kennen und erfahren insbesondere, dass die Natur hier einen ganz anderen Weg gewählt hat, Intelligenz zu erzeugen. Dabei greift GODFREY-SMITH (natürlich) auch auf allgemeine Ergebnisse der Kraken-Forschung zurück.
– Der Autor nimmt uns mit in seine grundsätzlichen Überlegungen zum Entstehen von verschiedenen Bewusstseins-Stufen: Für ihn gibt es fließende Übergänge zwischen ersten Formen des Fühlens in einfachen Organismen und dem selbstreflexiven Bewusstsein der Primaten.

Es ist eine ungewöhnliche Mischung von Themen und Zugangswegen: Auch innerhalb der Kapitel finden immer wieder mal ein Wechsel von Perspektiven statt: Gerade noch geht es um hoch-abstrakte Bewusstseins-Theorien – und schon findet ein neuer Tauchgang statt, in dem es um ehr konkrete Verhaltensbeobachtungen geht.

Immer wieder spürbar ist dabei die ganz einzigartige Faszination, die von einem Lebewesen ausgeht, dessen Welt- und Selbsterfahrung schon auf basaler biologischer Ebene eine solch prinzipielle Andersartigkeit aufweist: Da ist ein dezentrales Nervensystem, das den Krakenarmen eine erstaunliche Autonomie ermöglicht; da gibt es die Fähigkeit der Krakenhaut zu spektakulären Farbenspielen (die von den Tieren selbst offenbar gar nicht wahrgenommen werden können); da gibt es den irritierenden Umstand, dass diese so differenzierten und vielseitigen Organismen nur eine sehr kurze Lebenserwartung haben; da gibt es erstaunlich raffinierte Verhaltensweisen, die Kraken unter den Bedingungen einer Gefangenschaft zeigen.
Eine Sehnsucht bleibt offenbar unerfüllt: Kraken zeigen Menschen gegenüber kein Spiel- und soziales Bindungsverhalten, wie dies z,B. zwischen Delfinen und Menschen zu beobachten ist. Das Welterleben der Kraken scheint deutlich “autistischer” zu sein als man es sich bei so intelligenten Kreaturen wünschen würde; kommunikative Aspekte spielen in Begegnungen meist nur eine kurze, oberflächliche Rolle.

So ist man am Ende des Buches auf mehreren Ebenen schlauer geworden: Man weiß mehr über Evolution, über Kraken, über Unterwasserforschung und über Bewusstsein.
Man hätte diesen Erkenntnisgewinn sicher auch auf getrennten Wegen erlangen können. Dass uns der Autor diese besondere Mischung verabreicht, ist vor allem dann ein attraktives Angebot, wenn man sich für alle diese Inhalte interessiert.
Umgekehrt gilt: Wer sich in erster Linie mit dem Thema “Bewusstsein” beschäftigen will, dem wird es sicher irgendwann zu viel mit der Kraken-Beobachtung…


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