“Das große Experiment” von Yascha MOUNK

Bewertung: 4 von 5.

Dieses Buch des deutsch-amerikanischen Politikwissenschaftlers ging dem im Herbst 2024 besprochenen Text über Identitätspolitik zwei Jahre voraus.
MOUNK setzt sich hier sehr grundsätzlich mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Bedingungen demokratische Gesellschaften mit der Herausforderung zunehmend diversen Bevölkerungen zurechtkommen könnten.

MOUNK redet die mit ethnischer, kultureller oder religiöser Vielfältigkeit verbundenen Probleme und Risiken nicht klein. Anhand historischer Beispiele und aktueller Tendenzen analysiert er die mit gesellschaftlicher Diversität verbundenen Dynamiken und Konfliktpotentiale und kommt zu dem Schluss, dass die Kombination von Demokratie und Diversität durchaus als Experiment mit offenem Ausgang betrachtet werden muss.
Der Autor verbleibt dabei nicht auf der abstrakten Ebene. Systematisch spielt er reale und denkbare Szenarien im Verhältnis zwischen Mehrheiten und Minderheiten, nationalen und Gruppen-Identitäten, Abschottung oder Verschmelzung durch.

Der Autor geht mit wohltuender Gründlichkeit, Sachlichkeit und Unaufgeregtheit an die komplexe Thematik heran. Das Ausmaß an Orientierung, Begleitung und sprachlicher Klarheit, das MOUNK in diesem politischen Sachbuch bietet, kann geradezu als modellhaft angesehen werden. Hier spürt man den didaktisch versierten Hochschullehrer, für den die Kunst der Vermittlung kein lästiges Beiwerk darstellt.

Aber MOUNK ist kein neutraler Beobachter und Berichterstatter – er hat auch eine Mission. Der Autor will seine Leserschaft dazu motivieren, den Versuch zu wagen: Unter bestimmten Bedingungen hält er die diverse Demokratie für machbar. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Risiken und Fallen (daher dieses Buch), eine humanistische Grundhaltung und ein zuversichtliches zivilgesellschaftliches Engagement.
Inhaltlich betont MOUNK die Notwendigkeit, einen Respekt vor den kulturellen Besonderheiten der verschiedenen Gruppen mit einer ausreichenden Betonung der nationalen Gemeinsamkeiten zu verbinden. Die Überbetonung von Gruppenidentitäten, wie sie in der letzten Dekade zunehmend von Aktivisten-Kreisen propagiert und ausgelebt wurde, hält er für genauso dysfunktional wie gesellschaftliche Sonderregeln zum Ausgleich für (frühere) Benachteiligungen.

Man liest dieses Buch gerne – weil es gleichzeitig flüssig und strukturiert geschrieben ist und inhaltlich überzeugt. Und weil man gerne in dieser Gesellschaft leben möchte, die von MOUNK als Perspektive entworfen wird.
Allerdings beschleicht einem als Leser – knapp drei Jahre nach der Veröffentlichung und unmittelbar vor der zweiten Präsidentschaft von Trump – ein leichter Zweifel, ob der Autor aktuell wohl noch mit dem gleichen Optimismus auf die gesellschaftliche Zukunft der (noch) demokratischen Welt schauen würde bzw. könnte.
Als Wegweiser zur Orientierung kann dieser Text aber sicher weiterhin eine wichtige Funktion erfüllen.

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