“Abschiedsfarben” von Bernhard SCHLINK

Bewertung: 4 von 5.

In diesem Band präsentiert uns der große Erzähler SCHLINK neun Kurzgeschichten, die er verschiedenen Aspekten (“Farben”) des Abschieds gewidmet hat.
Diese Texte sind durchweg unaufgeregte, überwiegend leise Betrachtungen menschlicher Beziehungsprozesse bzw. -situationen, die einen Abschied zum Thema haben oder auf einen solchen hinauslaufen. Die Farben sind daher eher herbstlich-gedeckt; die Stimmung nachdenklich bis leicht wehmütig. Es geht nicht nur – aber auch – um endgültige Abschiede; also um Sterben und Tod. Manchmal steht aber auch ein Loslassen einer Idee, eines Konzeptes an. Gelegentlich kann ein Abschied auch befreien…

Der Autor tritt nur in den ersten zwei Geschichten als Ich-Erzähler auf; ansonsten übernimmt er die Außenperspektive. In Bezug auf die Intensität, mit der Selbstreflexionen und Emotionen nachspürbar werden, macht das keinen Unterschied.
Es sind vor allem die leisen Gefühlsnuancen, die sich in den Texten spiegeln. SCHLINK braucht dafür keine spektakulären Effekte oder kraftstrotzende Sprache. Er muss die entscheidenden Empfindungen nicht benennen – sie entfalten sich zwischen den Zeilen von alleine.
Um so schreiben zu können, muss man ein ausgeprägtes psychologisches Verständnis für das menschliche Gefühlsrepertoire haben; man man wohl auch die menschlichen Schwächen kennen und akzeptieren.

Gute Kurzgeschichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf vergleichsweise wenigen Seiten ein eigenes kleines Universum aufspannen. Diese Welt kann ganz unterschiedliche Zeitläufe oder Themen umfassen, sie sollte sich aber irgendwie rund und abgeschlossen anfühlen. Als Leser/in sollte man das Gefühl haben, dass alles Notwendige gesagt wurde.
Dieses Ziel erreichen die neun Geschichten bravourös.

Der Autor hat dieses Buch (2020) mit Ende 70 geschrieben. Das ist ein Alter, in dem man schon einige Erfahrungen mit Abschieden gemacht hat. Das färbt den Blick auf die Welt und den Stil, in dem man über dieses Thema nachdenkt, empfindet und schreibt.
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn man das Zielpublikum dieser Sammlung auch in seiner Generation finden.

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