Easy Rider?

Es geht mal wieder um die Freiheit. Oder darum, was wir darunter verstehen. Man könnte auch fragen: um wessen Freiheit eigentlich?

Motorradfahrer demonstrieren für ihr Recht, ohne Einschränkungen ihrem Hobby nachgehen zu können. Der auf Toleranz getrimmte Bürger denkt: “Man kann ja auch nicht alles verbieten…”
Viele Menschen in landschaftlich attraktiven Gebieten (kurvige Straßen in grüner Umgebung) wünschen sich auch Freiheit: von Lärm, Abgasen und völlig überflüssigem Verkehr.

Wie soll eine demokratische Gesellschaft solche Konflikte lösen? Sind immer die, die auf eine Fehlentwicklung hinweisen, die Doofen, weil sie den anderen “den Spaß” verderben? Droht in einer “Verbotsgesellschaft” die Diktatur des Langweiler-Mainstreams? Oder ist die freiheitsverliebte Toleranz-Gesellschaft dem Untergang geweiht?

Die entscheidende Frage scheint mir zu sein, ob wir uns trauen, gesellschaftlich relevante Ziele auch zu verfolgen. Bzw. ob wir irgendwann kapieren, dass sich eine gewünschte oder gar notwendige Entwicklung nicht von selbst ergibt.
Wir müssen tatsächlich entscheiden, wie wir in Zukunft leben wollen!

Geht’s auch ein wenig konkreter? Was würde ich denn vorschlagen?

Nun, für mich wäre erstmal klar, dass das “Fahren als Selbstzweck” in einer nachhaltigen Gesellschaft, die der drohenden Klima-Katastrophe etwas entgegensetzen möchte, nicht (mehr) zu den “geschützten” Lebensinhalten gehört. Mobilität ist ein hohes Gut – egal aus welchen Gründen man von A nach B gelangen möchte. Wenn man aber von A nach A möchte, weil der Weg das Ziel ist, sieht das anders aus.

Daraus folgt: Wir sollten uns für alle Mobilitäts-Konzepte einsetzen, die nicht die Art des Fortbewegens zum Fetisch bzw. Genussmittel macht, sondern die Funktionalität des Ankommens – bei minimaler Belastung von Umwelt und Mitmenschen.
Damit wären alle Arten von Hobby- und Statusgeräten raus, die in den meisten Fällen einzig den Zweck haben, die Jugendträume großer Jungs zu erfüllen: hochgezüchtete PS-Protzmaschinen mit zwei, drei oder vier Rädern (natürlich auch alle Wasserfahrzeuge, deren einziger Sinn es ist, Adrenalin beim Nutzer und Ohrenschmerzen bei den unfreiwilligen Zuhörern zu erzeugen).

Wie setzt man sowas durch? Richtig: durch Umsteuern, Anreize und Einschränkungen!
Man muss es nur wollen, genauso wie das Rauchverbot oder eine grüne Landwirtschaft.

Meine spontane Liste:
– allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzungen auch auf Autobahnen
– PS- und Lärmgrenzen für alle zukünftigen Autos und Zweiräder
– Verbot reiner “Spaßgeräte” (Quads, Jet-Ski, Kleinstflugzeuge)
– Sperrung von typischen “Raserstrecken” für Motorräder
– konsequente Besteuerung von Fahrzeugen nach Lärm, Verbrauch und Schadstoffausstoß
– Ausbau und stärkere Subventionierung moderner Verkehrskonzepte
– (weitgehend) autofreie Innenstädte

Und dann? Einfach nur immer den Leuten was wegnehmen? Wo ist die Perspektive?

Ich hätte kein Problem damit, zukünftig bestimmte Gebiete bereitzustellen, in denen Menschen ihre Lust nach dynamischer Fortbewegung ausfahren können. Voraussetzung wäre natürlich, dass dabei kein CO2 emittiert würde (erste E-Motorbikes gibt’s schon, fehlt nur noch der regenerative Strom). Gerne sollte mit dem Eintritt in diese Raserzonen auch das zusätzliche Risiko für Unfall-Behandlungskosten abgedeckt werden.

Es geht mir also nicht um das Verbieten als Selbstzweck. Es geht um die Prioritäten und darum, dass die Kosten der individuellen “Freiheit” nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

Es nervt mich zusehends, dass jede perverse Extrementwicklung der letzten 20 Jahre als Maßstab für die zu verteidigende Freiheit definiert wird! Das gilt für Energieverbrauch, PS-Wahnsinn, Hyperkonsum, Flug- und Kreuzfahrttourismus, Massentierhaltung oder Lebensmittelverschwendung.
Ist es nicht das denkbar größte Freiheitsziel, dass auch unsere Kinder und Enkel diesen Planeten noch bewohnen können?

Nicht wichtig, aber bemerkenswert…

Es sind oft die kleinen Nachrichten, die besonders berühren.
Wer wird heutzutage noch über den 386. Schwachsinn eines bekannten Präsidenten irritiert oder staunt gar über das systematische Abfackeln des Regenwaldes als offizielle Regierungspolitik?!

Liest man aber, dass zum ersten Mal seit über 50 Jahren eine neue Single der Rolling Stones den ersten Platz der deutschen “Hitparade” (so hieß das früher) innehat, so gerät man doch kurz ins Stutzen. Bei mir ist das ein angenehmes Stutzen…

Ist es nicht irre – so denke ich – dass inzwischen ein Großteil der (noch) lebenden deutschen Mitbürger (heute muss man ja ergänzen “und Mitbürgerinnen”) eine Welt ohne Rolling Stones gar nicht kennen, gar nicht erlebt haben!? Das sie so etwas wie ein selbstverständlicher Teil des Lebens sind: Meist nicht präsent, aber doch irgenwie immer da, Im Hintergrund, wie das Bundesverfassungsgericht oder die Versorgung mit Coca Cola.

Für die meisten Menschen sind solche “Institutionen” weder besonders wichtig noch besonders bewusst. Aber sie prägen unser Leben wie ein Grundrauschen, das man erst wahrnimmt, wenn es plötzlich verschwindet.

Wegen mir dürfen die Stones gerne noch ein bisschen dabeibleiben. Auch sie geben mir und meinem Leben eine innere Struktur, schaffen Heimatgefühle und sind ein Teil meiner ganz persönlichen Identität.
Dazu muss ich die beteiligten Personen nicht besonders sympathisch finden oder es toll finden, dass sie so reich geworden sind. Es reicht, dass sie da sind. Wie beruhigend: Es gibt noch Stabilität im Leben!

Nachbemerkung:
Eh’ ich es vergesse: Die Stones haben (nicht nur aus meiner Sicht) ein beeindruckendes musikalisches Lebenswerk hinterlassen. Ich könnte ohne mühe einen ganzen Abend damit bestreiten, nur die Titel zu hören, die ich wirklich bedeutsam finde (musikalisch und emotional).
Die neue Single (“Ghost Town“) finde ich auch gelungen…
(Nochmal 50 Jahre schaffen sie nun tatsächlich nicht mehr…)

Party-Szene?

Ich kann es nicht mehr hören!
Warum nennt man seit zwei Tagen die gewalttätigen Menschen, die in Stuttgart Menschenleben gefährdet und Eigentum verwüstet haben, verharmlosend “Party-Szene”?

Gehört es inzwischen zum üblichen Zeitvertreib, sich bei einer sich bietenden Gelegenheit gegen Polizeikräfte zu solidarisieren und Langeweile oder Frust in Gewalt abzuführen?
Als Event? Als antiautoritäre Befreiungsgeste?

Wie wohltuend und beruhigend muss das für diese Gruppierungen klingen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit weiter als Party-Szene bewertet fühlen. So schlimm kann es also nicht sein…
Für mich ist das unverständlich!

Die alte Auto-Welt

Wenn jemand der Illusion unterliegen sollte, dass sich das Ende der deutschen Auto-Fixierung schon auf einem guten Wege befände – dem (oder der) empfehle ich einen Wochenendausflug bei gutem Wetter Richtung Ostwestfalen; z.B. in das nette Örtchen Lippstadt.

Dort ist die Auto-Welt noch in Ordnung. Samstag abends und Sonntag vormittags werden sie gezeigt, die kleinen Flitzer oder die kraftvollen PS-Protze. Eine Runde durch die Kneipen-Straßen und ihrem Publikum gehört zum Pflichtprogramm – fast wie in den US-Filmen der 60iger Jahre.
Hier – abseits der Großstädte und Metropolen – steht das Auto noch für Freiheit, Stil und Genuss; von Auto-Scham keine Spur!

Auf dem Weg von und zur Autobahn gibt es jede Menge blitzblank-geputzte Edelkarossen zu sehen, die ungeduldig darauf warten, dass ihrem technischen Potential endlich mal wieder ein angemessenen Raum gegeben wird.

Als Kleinwagen-Hybrid-Fahrer, der möglichst entspannt mit 4,0 l Durchschnittsvorbrauch von A nach B kommen möchte, fühlt man sich ein bisschen fremd in dieser scheinbar so selbstgewissen Dinosaurier-Welt.

Es ist vermutlich ganz gut, dass ich mich einer solchen Konfrontation mit der Realität nicht allzu oft aussetze. Auf den Fahrradtrassen in Essen kann man so schön von einer Verkehrswende träumen…

Die App ist da!

Die deutsche Gründlichkeit hat mal wieder zugeschlagen: Es musste die “weltbeste” App sein, weit ab von jedem Verdacht, irgendein Datenschutzrisiko zu beinhalten.
Und natürlich ist sie freiwillig, freiwillig, freiwillig!

Ich bin gespannt, ob es trotzdem eine Boykott- und Ablehnungsszene geben wird. Einfach, weil man ja gegen das sein muss, was irgendwie “staatlich” ist. Weil Staat bedeutet ja offensichtlich, Kontrolle, Ausspionieren, Datensammeln.
Der Staat ist ja irgendwie immer der Gegner.

Vielleicht bin ich ja naiv. Es liegt wohl daran, dass ich noch nie in einem Unrechtsregime leben musste. Ich bin irgendwie mit dem Gefühl aufgewachsen, dass der Staat ein absolut notwendiger Dienstleister ist, der – letztlich in meinem Auftrag und meistens in meinem Interesse – Dinge für mich regelt und bereitstellt, die mir sonst sehr fehlen würde.

Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich habe schon bei dem Volkszählungs-Konflikt in den 1970-iger Jahren nicht wirklich verstanden, warum der Staat nicht wissen sollte, wo wie viele Personen leben. Tatsächlich habe ich damals – trotz grundsätzlich “progressiver” Einstellung – nicht protestiert, sondern war als Volkszähler unterwegs (habe von meinem Verdienst u.a. die stilbildende “Deep Purple in Rock” gekauft).

Von mir aus dürfte es auch einen zentralen Speicher der Corona-Daten geben. Aber wenn das nicht sein muss – ums so besser!
Ich möchte nur keine endlosen Diskussionen hören und sehen über die “Restrisiken” dieser App. Ich glaube, ich wäre kein sehr geduldiger Gesprächspartner.

Ein schlauer Mensch hat die Tage – sinngemäß – gesagt: Jeder Smartphone-Besitzer, der ein Google-, Facebook- oder Microsoft-Konto hat, sollte zwangsverpflichtet werden, auch die Corona-App zu installieren. Die Auswirkungen auf die persönliche Durchleuchtungs-Dichte wäre selbst mit den empfindlichsten Instrumenten nicht messbar.

Also bitte: Installiert die App und beschäftigt euch dann mit wesentlichen Dingen!

Nachtrag:
Ich habe gerade die – verständliche – Frage bekommen, ob die App denn unter den aktuellen Bedingungen überhaupt noch so sinnvoll sei.
Meine Antwort: Ich sehe in einem möglichst flächendeckenden Runterladen der App auch ein gesellschaftliches Zeichen, eine Art Volksabstimmung für Vernunft und Verantwortung.

Lachs

Komischer Titel für einen Blogbeitrag von mir?

Ich habe heute eine 90-minütige Dokumentation über den Lachs als Lebewesen und die Lachsindustrie als Wirtschaftsfaktor gesehen. Das Ergebnis: Viel Information, differenzierte Aufklärung und emotionales Berührtsein.

Ich wusste schon von der Problematik der industriellen Lachs-Produktion – durch eine ZEIT-Titelgeschichte aus dem letzten Jahr. Auch das Lesen hat damals etwas ausgelöst: Ich war seitdem häufiger (fast immer) bereit, für “Bio-Lachs” deutlich mehr zu bezahlen.

Dieser Film macht die Zusammenhänge deutlicher und vor allem eindrücklicher. Es geht – wie so oft – um Maßlosigkeit, Wachstumsfetischismus und Verantwortungslosigkeit.
Beleuchtet werden viele Aspekte: Die Romantik der ursprünglichen Lachsfischerei, die sprunghafte Entwicklung der “Zuchtfarmen” in Norwegen (und inzwischen auch in Chile), die Umweltschäden und die unsäglichen Lebensbedingungen, die geplante Steigerungsdynamik für die nächsten Jahre.

Am meisten hat mich das Interview mit einem norwegischen Geschäftsmann (Exporteur) erschüttert, der schildert, wie stolz er über jedes Flugzeug ist, das mit ca. 30 Tonnen Lachs zu den wohlhabenden Kunden in Asien oder zu den Golfstaaten startet. Oder die Geschichte eines Norwegers, der es geschafft hat, den norwegischen Lachs in Japan (und dann weltweit) als Sushi-Spezialität einzuführen. Einfach ein Irrsinn!
Und diese Menschen spüren offenbar noch nicht einmal eine kleine Ambivalenz hinsichtlich ihres – jedem ökologischen Gedanken widersprechenden – Tuns.
Der ganze Wahnsinn solle sich in den nächsten Jahren noch verfünffachen.

Guten Appetit!
Ich glaube, ich kann jetzt auch auf Bio-Lachs (weitgehend) verzichten.

(Die Sendung lief auf ARTE).

Der langsame Abschied von den USA

Mein Verhältnis zu Amerika war nie kritiklos oder gar verklärt. Seitdem ich (politisch) denken kann, habe ich im “American Way of Life” immer auch Widersprüche, Doppelmoral, Rassismus, Zynismus, Imperialismus und grenzenlos egoistischen Individualismus gesehen (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Die Betonung lag auf “auch”.
Es gab dazu ein ein gewisses Gegengewicht. Es gab das Amerika, dass uns von Hitler befreit hat. Es gab das glitzernde Wolkenkratzer- und Hollywood-Amerika. Es gab die Strahlkraft der Kennedys und von Martin Luther King. Es gab Woodstock und die Ostküsten-Intellektuellen. Es gab die Vielfalt und Weite der Landschaften, das Grenzenlose. Und zuletzt gab es mit Obama einen Präsidenten, der zwar politisch kein Heiliger war, dem man aber ohne jeden Zweifel Anstand und Charakter zubilligen kann, den man sich im persönlichen Freundeskreis hätte vorstellen können.

Wenn wir uns die heutige USA nach (fast) vier Jahren Trump anschauen, gucken wir auf ein anderes Land, letztlich auf eine andere Welt. Man muss die Einzelheiten hier nicht alle aufzählen; wir alle haben sie hunderte Male gehört und gelesen.
Was wirklich überrascht – auch noch nach den ersten drei Jahren – ist die Steigerungsdynamik, mit der Prinzipien, Maßstäbe und Werte aufgegeben bzw. in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Wie konnte man ernsthaft glauben – auch etliche deutsche Kommentatoren haben das anfangs getan – dass ein durch und durch egomanischer, narzisstischer und charakterloser Mensch schon zu einem irgendwie brauchbaren Staatsmann werden könnte? Wenn so ein Mensch zum mächtigsten Mann der Welt werden kann, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht mit diesem Land! Das konnte man nie schönreden; man hätte sich die Versuche auch gut sparen können!

Man könnte jetzt vielleicht irgendwie schadenfroh sein, nach dem Motto “Das haben die bekloppten Amis jetzt davon… (z.B. mit Corona).”
Aber es geht nicht nur um all die vernünftigen Menschen, die ja auch dort leben (ca. 50%). Es geht um unser aller Zukunft.
Ich weiß nicht, ob wir es uns leisten können, dass die USA auf der Weltbühne in zunehmendem Tempo an Bedeutung und Einfluss verlieren. Ich bin davon überzeugt, dass die falschen Leute (in Peking, Moskau, Teheran, Ankara, usw.) sich gerade voller Begeisterung die Hände reiben.
Auch wenn die Erzählung (das Narrativ) vom “Freien Westen”, der Demokratie und Menschenrechte in der Welt verteidigt, (leider) immer viel mit Propaganda und Heuchelei zu tun hatte: Wie sehen die Alternativen aus? Welche wünscht man sich wirklich? Wen möchte man als neue Supermacht an den Schaltstellen sehen?

Ich sehe nur einen gangbaren Weg: Wir müssen Europa stärken und auf das Nach-Trump-Amerika hoffen. Aber – selbst wenn uns das gelingt – ein Abschied von der USA, die uns doch irgendwie vertraut war und uns – trotz aller Schwächen – ein wenig Stabilität geschenkt hat, dieser Abschied hat schon längst begonnen.
Schaffen wir es , diesem Entfremdungsprozess etwas entgegenzusetzen? Können und wollen wir noch differenzieren zwischen Trump und seinem Land? Was ist das für ein Land, wo es normal ist, dass man nur als Multimillionär Chancen hat, als Präsident zu kandidieren? In dem ein Großteil der Medien in rechten und extrem-klerikalen Händen liegt? In dem Waffen geradezu angebetet werden? In dem das dumpfe und geistlose Macho-Gehabe mehrheitsfähig ist?

Als Vorbild für die Welt taugt dieses Amerika schon lange nicht mehr. Müssen wir es endgültig abschreiben? Dürfen wir das tun?

Corona-Paket

Es hätte schlimmer kommen können!
Man muss sich freuen, dass die Koalition sich letztlich nicht getraut hat, all die Menschen restlos zu enttäuschen, die auf ein Nachhaltigkeits-Zeichen gehofft haben.
Das Symbol war die Auto-Prämie (für Verbrenner); das Symbol wurde vermieden.
Und sonst?

Die Mehrwertsteuer-Kürzung ist echt teuer für den Staat, bringt aber dem Einzelnen nicht wirklich etwas Spürbares ein. Ich verstehe die Logik nicht wirklich. Und ich verstehe es ebenfalls nicht, warum nicht irgendeine Lenkung eingebaut wurde: Für bestimmte Ziele, Produkte oder Wirtschaftsbereiche. Warum die Gießkanne?
Vermutlich weil die Auto-Ministerpräsidenten jetzt sagen können: “So bekommt auch das Dinosaurier-Modell von Daimler, Porsche, BMW oder Audi noch seine Prämie” (bei 70.000 € immer hin noch 2100 €).

Über die restlichen Punkte kann man sicher lange diskutieren.
Eine Diskussion darüber, dass uns mehr Konsum und Wachstum langfristig nicht schützt sondern massiv gefährdet, steht sowieso noch an.
Was wohl passieren muss, um diese in gang zu setzen?

Echter Aufbruch sieht jedenfalls anders aus.

“Soziale Arbeit als Dienstleistung?” von Silvia

Dies ist ein sehr grundsätzliches Statement zur Ausgestaltung von Sozialer Arbeit (vor allem in der Jugendhilfe). Er basiert auf den jahrzehntelangen Erfahrungen von Silvia und wurde aktuell motiviert durch einen Artikel über die Jugendhilfe in der ZEIT (Nr. 23/2020).

Vor mehr als 45 Jahren wünschten sich meine Eltern, dass ich doch bitte eine Banklehre machen sollte. Sie sorgten sich um mein Seelenheil und hatten ebenfalls im Blick, dass ich mit meiner Berufswahl sehr geringe Chancen haben würde, Reichtum anzuhäufen. Aber mein Entschluss stand fest. Ich wollte etwas bewegen in dieser Welt und die Erwachsenen erschienen mir nicht sehr geeignet dafür, ihre Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu beschreiten.

Mein Weg durch unterschiedlichste soziale Bereiche begann und ließ mich wachsen und reifen. Ich war eine „Überzeugungstäterin“ und bin es bis heute, nach über 45 Jahren sozialer Arbeit. Neue Konzepte kamen und gingen, wiederholten sich, widersprachen sich und der Kern meiner, unserer Arbeit blieb doch immer gleich. Es galt und gilt, Menschen jeglichen Alters neue Wege aufzuzeigen und ihnen Mut zu machen, diese auch zu beschreiten.

Ja, es veränderte sich vieles, auch zum Guten. Während ich zu Beginn in einer katholischen Einrichtung erleben musste, dass Kinder gedemütigt und geschlagen wurden, dass es Schlafräume mit 20 Betten gab, auf denen morgens Kuscheltiere drapiert wurden, um die Armseligkeit des alltäglichen Umgangs mit den Kindern zu verschleiern, wandelten sich in einem doch bemerkenswerten Tempo die äußeren Bedingungen in der Heimerziehung und auch in anderen sozialen Einrichtungen. Viele differenzierte Angebote wurden ins Leben gerufen. Sie sollten die Chancen der Kinder, der Jugendlichen und der Eltern verbessern. Mehr und mehr wandelte sich auch die Haltung gegenüber der Arbeit, gegenüber den Kindern und Jugendlichen.

Zwei Ereignisse ließen mich aufhorchen, sensibilisierten mich für das große Ganze und läuteten eine Zeit ein, in der ich einen schleichenden, aber gravierenden Wandel in der sozialen Arbeit erlebte.
Eines Abends saß ich mit Freunden am Tresen meiner Lieblingskneipe, da tickte mir jemand von hinten auf die Schulter und sagte leicht süffisant: “ Na, hallo Mutter Theresa!“
Kurz darauf erlebte ich, wie mir morgens bei meiner Ankunft im Büro ein Ordner zum Qualitätsmanagement überreicht wurde. Ich war in der freien Wirtschaft angekommen. Die Arbeit sollte überprüfbarer werden, strukturierter, effektiver. Das alles mit Blick auf den einzelnen Sozialarbeiter, Betreuer, Erzieher, im Heim, im Amt, in der offenen Jugendarbeit. Diese Entwicklung erlebte ich als fatal. Leidenschaft und Liebe zu dem Beruf, Gefühle, Empathie und Hilfsbereitschaft wurden Kriterien untergeordnet, die datenmäßig erfasst werden konnten. Ziele für die Betroffenen, die unsere Hilfe suchten, konnten teilweise mit Zahlencodes wiedergegeben werden. Wer sich dem nicht unterordnete, erschien schnell unprofessionell.

Mit der Zeit konnte ich feststellen, dass sich der Krankenstand erhöhte, Burnout und Kündigungen gehörten mehr und mehr zum Alltag in Ämtern und sozialen Einrichtungen. Jugendamtsleitungen kamen aus dem Verwaltungsbereich und Stechuhren wurden angeschafft, um die Kontrolle der Sozialarbeiter zu verbessern.
Ungesagt möchte ich nicht lassen, dass ich in all diesen Jahren immer wieder auf Ämter, Teams und Einzelne gestoßen bin, die sich diesem gesellschaftlichen Trend erfolgreich widersetzten. Erfolgreich heißt für mich, dass ihr eigenes Wohlbefinden in der Arbeit spürbar war, dass sie mit ihren Möglichkeiten der Kommunikation und der Selbstfürsorge den Hilfesuchenden eine Plattform bieten konnten, auf der diese langsam ihr Misstrauen ablegen und Hilfe annehmen konnten.

Die Geschichte der sozialen Arbeit hat eine lange Tradition und spiegelt in allen Zeiten die Haltung der Gesellschaft wieder. In der heutigen Zeit, die in unseren Breitengraden geprägt ist von den Göttern des Konsums und der schnellen Befriedigung aller sich ständig verändernden Bedürfnisse, werden die Handlungen der Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, auch immer deutlicher daran gemessen, wie effektiv sie dies eigentlich tun. Und der Maßstab dafür ist weit entfernt von den Bedürfnissen, die eigentlich das Miteinander von Hilfesuchenden und Helfern prägen sollte.

Gerade in den letzten Tagen steht mal wieder das Jugendamt in der öffentlichen Kritik. Anerkennend muss ich sagen, dass auch die Überbelastung der Mitarbeiter zum Thema wird, aber das ist meiner Meinung nach nicht der Kern des Problems. Der Kern ist, dass Kreativität, Phantasie, Intuition, menschliche Wärme, Empathie und der Mut, Grenzen benennen und durchsetzen zu dürfen und zu können, erstmal keine Voraussetzungen sind, die statistisch überprüfbar scheinen. Aber diese Fähigkeiten gehören dazu, wenn man erfolgreich sein will in unserem Beruf.

Ich hätte schon einige sehr klare Veränderungswünsche und Vorschläge. Sie betreffen zum Beispiel die Ausbildungssituation, die Einsatzorte, die Haltung gegenüber Menschen, die sich für Menschen engagieren, Gesetze, die die Eigenverantwortung der Menschen stärken und, und, und. Es ist ein weites Feld, so differenziert und vielschichtig, wie jeder Einzelne.

Warum ich nach all den Jahren noch immer aus Überzeugung im sozialen Bereich arbeite, werde ich manchmal gefragt. Es ist ganz einfach. Es ist eine Aufgabe, die meinen Fähigkeiten entspricht, in der ich ständig lernen kann, die mich mit Freude erfüllt und mich mit mir selber konfrontiert. Und wie bei jedem anderen Beruf kann ich sagen, dass Leidenschaft die Voraussetzung dafür ist, dass man etwas Gutes bewirken oder erschaffen kann. Fachlichkeit ist mit Sicherheit eine unentbehrliche Grundlage, aber sie muss eingebettet sein in eine Struktur, die die Lebendigkeit menschlicher Begegnungen zur Grundlage hat.

Und von dem „Mutter Theresa Quatsch“ lass ich mich bis heute nicht beirren.

Öko-Europa?

Wir sind echt nahe dran!
Die EU-Kommission hat gerade einen Plan aufgelegt, der – auf dem Hintergrund eines Corona-Hilfspaketes – eine ökologische Erneuerung einleiten könnte, von der man in dieser Größenordnung noch vor kurzer Zeit kaum hätte träumen können.
Es wäre wohl kaum übertrieben, diese Initiative als weltweit einmalig und vorbildlich zu bezeichnen.

Es könnte sich also etwas bewegen – denn immerhin ist dieser Plan schon so etwas wie “offizielle” Politik. So weit waren wir also tatsächlich noch nie!

Ein kleiner Haken: Die Umsetzung geht nicht ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten. Und hier gibt es kleinkariertes Gerangel um die Art der Unterstützung für die ärmeren Länder.

Es wäre mehr als bedauerlich, wenn jetzt eine große Chance vertan würde.
Es wäre ein Rückschlag, der in den nächsten Jahren kaum aufgeholt werden könnte – denn so große Finanzpakete werden nicht alle Jahre geschnürt.

Wenn Merkel diese Initiative in dem anstehenden EU-Vorsitz (zweite Jahreshälfte) über die Bühne bekommen sollte, wäre ihr der Platz in meinem persönlichen Geschichtsbuch sicher.