
Zeitreisen waren schon immer ein dankbares Szenario für alle Arten von Zukunftsromanen. Immer wieder reizten – neben den technischen Visionen – auch die hochphilosophischen Spekulationen darüber, ob man durch Interventionen in der Vergangenheit Einfluss auf die Gegenwart nehmen könnte.
BRADLEY wählt einen recht individuellen und kreativen Weg in die Thematik:
Sie konstruiert einen Plot, in dem eine junge Frau (die Ich-Erzählerin) als Angestellte einer britischen Regierungsbehörde die Aufgabe hat, einen Zeitreisenden (den Polarforscher Graham Gore) eine Weile zu betreuen. Zusammen mit einigen anderen Personen (aus anderen historischen Epochen) wurde er unfreiwillig Versuchsperson in einem einmaligen Geheim-Experiment.
Aus dem Jahre 1847 wird Graham in das London des 21. Jahrhunderts katapultiert und bekommt – neben einer offiziellen fachlichen Behandlung – eine private Alltagsbegleitung. Die Protagonistin dieses Romans ist diese “Brücke” (zwischen dem im 19. Jahrhundert geprägten Offizier und der Moderne).
Der Roman wird auf der einen Seite durch einen Handlungsstrang getragen, in dem sich die Vorgänge in der staatlichen Behörde und zwischen den Zeitreisenden und ihren Begleitern in einer zunehmend komplexen Form kreuzen und schließlich heftig eskalieren.
In wie weit diese ganzen Entwicklungen inhaltlich und logisch überzeugend sind, soll hier nicht weiter kommentiert werden. Zweifel sind aber angebracht…
Der eigentliche Reiz des für diese Story gewählten Kontextes liegt aber auf einer anderen Ebene (und soll wohl dort auch liegen): Die Autorin interessiert sich für die psychologische und emotionale Dynamik, die sich bei den Zeitreisenden selbst und zwischen ihnen und ihren (sehr privaten) Betreuern abspielt.
Was bedeutet es wirklich – so fragt man sich auch als Leser/in – von einem Moment zum anderen in eine völlig andere historische Wirklichkeit zu geraten – und dort so ziemlich alle Selbstverständlichkeiten zu verlieren, die das bisherige Leben und damit auch die eigene Identität getragen haben?
Die Vorfreude auf die Schilderung einer solchen extremen Irritation und auf die Beschreibung der kaum zu überschätzenden Herausforderung an die Anpassungsleistungen eines psychischen Systems – diese Erwartung wird nur in geringem Umfang erfüllt. Man gewinnt sehr schnell den Verdacht, dass die Vorstellungskraft und/oder die sprachlichen Möglichkeiten der Autorin einfach nicht ausreichen, um wirklich nachvollziehbar zu machen, wie tief der innere Graben zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Fühlen und Denken von Graham ist.
So bleiben – bei allen vorhandenen Ansätzen – die Fragen nach seinem inneren Erleben weitgehend offen: Der Bruch mit dem gelebten Sein bzw. die Integration der neuen Erfahrungen gelingt dem Zeitreisenden erstaunlich schnell. Und natürlich bezieht sich diese Eingewöhnung letztlich auch auf die ganz persönliche Beziehung zwischen Graham und seiner “Brücke”.
So ganz überzeugend ist dieser Roman also auf beiden Analyseebenen nicht.
Das ist insbesondere deshalb ein wenig schade, weil die Grundidee wirklich eine Menge Potential in sich trägt.
Das könnte auch ein Grund dafür sein, sich dem Buch – trotz seiner Schwächen – mit Interesse zuzuwenden: Er verschafft eine Menge Anlass, sich selbst Gedanken über diese extrem ungewöhnliche Situation zu machen. Was spricht dagegen, auch solche Wege weiterzudenken, die von der Autorin nicht gegangen werden?
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