“Downsizing” von Alexander Payne, mit Matt Damon

Ich ging völlig unvorbereitet in diesen Film, hatte nur die Vorinformation, dass es um die Idee gehen sollte, durch extreme Verkleinerung der Menschen u.a. die Ressourcen-Probleme unseres Planeten lösen zu wollen.
Mein Interesse galt somit sowohl dem Konzept, der darauf basierenden Handlung, als auch dessen filmtechnischer Umsetzung.

Leider wurde ich auf allen Ebenen enttäuscht.

Ich bin ja bereit, mich auf futuristisch-abgedrehte Fantasien einzulassen – auch dafür gibt es ja schließlich Kino. Wenn einem dann aber eine Geschichte vorgesetzt wird, die so zufällig, belanglos und willkürlich erscheint, wird es für mich schwierig. Ich fühlte mich nicht eingewoben in einen Handlungsablauf oder in eine Identifikation mit den Figuren, sondern stellte mir immer wieder die Frage: “Wie ist das jetzt gemeint?”
Soll das jetzt eine tiefgründige Geschichte mit einer echten Botschaft sein? Soll es eine bitterböse Satire werden? Oder tatsächlich ein ernstgemeinter Liebesfilm? Oder – was das Schlimmste wäre – wusste der Regisseur selbst nicht, was er da gerade anstellt?

Natürlich gab es einige Szenen, die von der aktuelle cineastischen Tricktechnik lebten. Gut gemacht – aber auch erwartungsgemäß und nicht gerade sensationell. Dafür gab es bei der Umsetzung der Miniaturisierung an anderen Stellen so eklatante Schwächen, dass man nur mit dem Kopf schütteln konnte.
Die mögliche ökologische Weltrettungsperspektive wurde so verkitscht, dass sie nur noch als Persiflage dienen konnte; ähnliches gilt für die Love-Story.

Für mich ein wirklich unausgegorener Film. Muss  man nicht gesehen haben; selbst wenn man ihn irgendwann im Fernseher geboten kriegen sollte.

War trotzdem ein schöner Abend…

Chaos bei der SPD – eine andere Perspektive

Natürlich: Es wurden Fehler gemacht – nicht zuletzt auch von Martin Schulz!
Was aber in den letzten Tagen und Stunden passiert ist, ist meiner Meinung nach nicht das Ergebnis solcher Fehler der Hauptakteure, sondern vorrangig die Folge einer gesellschaftlichen Negativ-Stimmung, die sich – nicht nur, aber auch – in der SPD breitgemacht hat.

Was will ich damit sagen:
Mir scheint es immer stärker darum zu gehen, sich an (vermeintlichen) Schwächen, Fehlern oder Widersprüchlichkeiten von Führungsfiguren  schonungslos abzuarbeiten. Es gibt ein extrem destruktives Vergnügen daran, Leitfiguren zu demontieren – im Extremfall solange und so gründlich, dass deren Laufbahn in Schutt und Asche liegt.
Es ist ein Spiel, das scheinbar alle höchst vergnüglich finden: die politischen Konkurrenten, die Parteibasis, die Medien und all die Privatleute, die in Gesprächen und Posts lustige oder wütende Beiträge machen und damit die Steigerungsspirale vorantreiben.

Es macht scheinbar unendlichen Spaß, Autoritäten zu kippen! Die Pubertät lässt grüßen! Die Folgen? Ist doch egal – Hauptsache es fühlt sich geil an oder es verschafft Aufmerksamkeit oder Quoten!

Ich würde gerne über die Folgen reden.
Ich bin z.B. stinksauer, dass gerade in wenigen Tagen zwei hoch kompetente potentielle Außenminister dieses Landes zerwurstet wurden. Ich wollte gerne, dass dieses Land – und Europa insgesamt – bestmöglich vertreten wird. Mir war letztlich egal, ob Schulz oder Gabriel das tun – wenn sie es nur endlich tun dürften.
Vielleicht war das Blitz-Gekungel zwischen Schulz und Nahles nicht der beste Stil – aber was hat man (als SPD)  bitte davon, wenn in dieser hoch-sensiblen Phase sofort wieder alles durch einen Proteststurm in Klump gehauen wird?
Man wirft den Handelnden ihre persönlichen Ambitionen vor – ich werfe denen, die auf jede denkbare Abweichung von ihrer Ideallinie mit wütendem Geheul reagieren, Verantwortungslosigkeit vor. Diese Art, mit Entscheidungen umzugehen, die einem selber nicht passen, drückt genau den Egoismus und Narzissmus aus, den man angeblich kritisieren will.

Das “Nein-Sagen”, die unerweichliche Ablehnung von Kompromissen, ist offenbar das Gebot der Stunde. Nur nichts zähneknirschend akzeptieren, weil es der Sache dienen könnte. Es gibt ja die “Reine Lehre”, es gibt ja eine frühere Festlegung, die man den Handelnden auf Lebenszeit vorhalten kann. Irgendwas findet man immer – und man sich daran hochziehen und sich von anderen dafür feiern lassen.
Nur wie soll in einem solchen Klima noch sinnvolles politisches Handeln möglich sein?

Das allgemeine Unbehagen an dem “Weiterwursteln” einer vermeintlich ausgelaugten GroKo ist mir nicht völlig fremd. Auch ich hätte mir angesichts der wirklich brennenden Themen und Probleme einen mutigeren und zukunftsweisenderen Aufbruch gewünscht. Ich finde es nur absolut unfair und extrem destruktiv, diesen Frust jetzt an den an verantwortlicher Stelle handelnden Politikern abzuladen. Die Wahl ist im September gelaufen – und im Februar ist man hochgradig frustriert, dass die SPD nicht alle ihre Vorstellungen durchsetzt! Das ist doch nicht mehr nachzuvollziehen! Das ist Kinderkram: “Ich will einen Lolli haben, und zwar den roten!”

Ich will, dass dieses Land regiert wird, und zwar von erfahrenen und kompetenten Leuten – auch wenn diese mal einen Looping vollziehen.

 

“Eine Idee erscheint (Die Ermordung des Commendatore 1)” von Haruki MURAKAMI

Ich habe in den letzten 6 Jahren von keinem Autor mehr Bücher gelesen/gehört als von Haruki Murakami; ich nannte ihn deshalb oft schon „meinen Japaner“. Er hat einen wirklich sehr individuellen Schreibstil entwickelt, der sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist – aber ihn gleichzeitig seit Jahren regelmäßig auf die Kandidaten-Liste für den Literatur-Nobelpreis gebracht hat.

Der neue Roman reiht sich lückenlos in das bisherige literarisches Schaffen von Murakami ein, weist aber trotzdem eine Besonderheit auf: Er ist für sich alleine in keiner Weise abgeschlossen; endet sozusagen „mitten im Satz“. Daher wollte ich eigentlich den (zwingend notwendigen) zweiten Band abwarten, bevor ich meine Bewertung abgebe. Nun ist aber dieses Buch offenbar außerordentlich erfolgreich und schon weit oben in der SPIEGEL-Bestseller-Liste. Es wird also Zeit.

Der Roman spielt in der Nähe von Tokio und ist natürlich in die japanischen Kultur und Lebensweise eingebettet; der Autor ist aber immer international aufgestellt. Diesmal spielt klassische Opernmusik aus Österreich und Deutschland eine große Rolle; es gibt auch Bezüge zur Machtergreifung der Nazis.

Der Ich-Erzähler ist (Portrait-)Maler und berichtet über eine Episode aus seinem Leben, die mit der plötzlichen Trennung seiner Frau beginnt. Dieser Einschnitt bringt ihn in eine neue Umgebung und damit in Berührung mit sehr ungewöhnlichen und skurrilen Ereignissen.
Man erfährt viel über Malerei, über Opern, über besondere menschliche Beziehungen.

Was macht nun das Buch so anders?
Murakimi schafft immer wieder eine sehr besondere Atmosphäre, in dem er eine einzigartige Verbindung schafft zwischen zwei „Welten“: Auf der einen Seite schildert er in einer unglaublich unauffälligen Selbstverständlichkeit normale Alltagssituationen bzw. -abläufe; er lullt den Leser so durch entsprechende Wiederholungen (mit hoher Redundanz) geradezu in eine fast meditativ wirkende Banalität ein. Es geht dabei z.B. oft um Alltagsverrichtungen wie Kochen und Hausarbeit. Diese geradezu langweilige Normalität dient dann Basis für die Entwicklung völlig skurriler und phantastischer Inhalte, die den normalen Realitätsrahmen oft weit hinter sich lassen. Weil diese Geschichten aber in dem gleichen „Tonfall“ und einer unveränderten – im Prinzip sehr einfachen – Erzählstruktur dargeboten werden, gelingt es dem Autor tatsächlich, den Leser mit in diese Alternativwelten zu nehmen und die sonst zu erwartenden Widerstände zu überwinden. Ein toller Trick, der immer wieder wirkt – auch wenn man ihn kennt.

Man kann nach Murakami süchtig werden oder ihn als einen verrückten Spinner zur Seite legen.
Ich jedenfalls warte auf den zweiten Band (der für April angekündigt ist). Dass man so – durch die Aufteilung in zwei Bände – deutlich mehr Gewinn erzielen kann als durch ein entsprechend dicken Einzelband, sei hiermit verziehen. Es ist halt mein Japaner. Und er wird den Nobelpreis noch bekommen. Früher oder später….

(s. a. “1Q84“)

“Future Love” von Matthias HORX

Es ist eine echte Herausforderung, eine Rezension über ein neues Beziehungs-Buch zu schreiben, wenn man selbst – zusammen mit einer Co-Autorin – seit über zwei Jahren an einem solchen Buch schreibt (vermutlich werden es letztlich zwei Bücher nach drei Jahren).

Ich muss unumwunden einräumen: Das Buch von HORX ist zu ziemlich das Beste, was ich zum Thema „Liebesbeziehungen“ jemals gelesen habe; es ist facettenreich, anregend, kreativ, visionär.

Das Buch spannt den Bogen von den Anfängen der Menschheitsentwicklung bis zu den antizipierten Zukunftstrends des mittleren 21. Jahrhunderts. Der Autor bedient sich einer sehr besonderen Mischung zwischen wissenschaftlicher Aufarbeitung und persönlichen Bezügen zu seiner eigenen Biografie – die er immer wieder zur Illustration seiner Thesen heranzieht.

Es wird schnell deutlich, dass sich HORX nicht gerne im Mainstream aufhält: Er kennt scheinbar nur irgendwie exzentrische und leicht ausgeflippte Menschen – entsprechend breit gefächert ist seine Sichtweise auf die Variationen der menschlichen Liebe. Diese sehr offene und tolerante Haltung gegenüber allen Spielarten kommt auch dem Blick in die Zukunft der Liebe zugute: Auch hier lässt der Autor kaum eine denkbare “Verrücktheit” außen vor. Er hat offensichtlich ein gewisses Vergnügen an den Extremen, die er genüsslich darstellt, um sie dann aber letztlich doch kritisch zu hinterfragen und zu relativieren.

Die Stärke des Buches ist in gewisser Weise vielleicht auch seine Schwäche: Der „Normalo“ mit seinen ganz alltäglichen Beziehungsproblemen findet sich nicht unbedingt wieder in diesem Kaleidoskop von Trends und Utopien. Manchmal hilft dann nur ein irritiertes Kopfschütteln…

HORX greift auf eine solide Basis von Literatur-Quellen zurück, findet auch dort sehr spezielle Angebote: So scheint er ein besonders Faible für solche Liebes-Forscher zu haben, die ihre Erkenntnisse auch in mathematische Formeln übersetzen. Manchmal entsteht der Eindruck, dass nicht alle aufgeführten Theorien und Aspekte in ausreichendem Umfang auch in den Gesamtzusammenhang integriert werden. So wird z.B. die Bindungsforschung kurz auf einigen Seiten referiert, aber nicht weiter argumentativ genutzt.

Von solchen Kleinigkeiten abgesehen: ein tolles Buch für die Leser, die sich besonders für die schillernden „Ränder“ der Liebeskultur interessieren und die aktuellen Trends gerne mal in die Zukunft weiterdenken (lassen). Jede Menge Stoff zum Denken und Diskutieren!

SPD

Langsam wird mir mulmig. Ein Gefühl der Sicherheit und Kalkulierbarkeit schwindet. Passiert da gerade etwas, was sich im Nachhinein als leichtfertiges aufs Spiel setzen einer geradezu beneidenswert stabilen politischen Grundsituation erweisen könnte? Verspielen wir da gerade den Grundstock unserer gesellschaftlichen Solidität?

Wer ist wir? In diesem Fall sind das Teile der SPD und die mit ihrer Zukunft angeblich wohlwollend befasste Meinung. Beide wollen die SPD “retten“ – aus einer vermeintlichen Falle, in der sie in der erneuten GroKo landen würde. Sie werden nicht müde, die Genossen aufzurütteln und zu ermutigen, sich diesem selbstzerstörerischen Joch nicht zu unterwerfen. Um ihre Seele und ihre Identität zu bewahren.

Die würde nämlich dadurch zerstört werden, dass wichtige Kernforderungen der SPD in dem Sondierungsergebnis nicht durchsetzbar waren.

 

Die Alternative?

In die Opposition gehen und dort mit neuer Parteiführung die unverfälschte sozialdemokratische Lehre neu definieren und lautstark vertreten.

 

Der Preis?

Nach der fälligen Neuwahl noch ein paar Prozente verlieren und in den nächsten vier Jahren gar keinen entscheidenden Einfluss auf die politische Entwicklung in Deutschland nehmen.

Allerdings ist das nur der SPD-interne Preis. Darüber hinaus zahlen wir alle einen noch nicht quantifizierbaren Preis: ein paar weitere Monaten Stillstand und Ungewissheit in Deutschland und Europa. Auch würde in der Bevölkerung das Gefühl zunehmen, dass unser demokratisches System und seine Politiker es irgendwie nicht hinbekommen. Die langfristigen Folgen dieser immer weniger diffusen Zweifel sind kaum abzuschätzen.

 

Geht es wirklich im Moment vorrangig um die Identität einer Partei?

“Rettet die Wahrheit” von Claus KLEBER

Ich mag das heute-journal und ich mag dort besonders Claus KLEBER.
Ich fühle mich durch diese Sendung durchweg erstklassig und niveauvoll informiert und sehe mich immer wieder in dem Eindruck bestätigt, dass dafür eine besonders engagierte journalistische Haltung der Macher verantwortlich ist.
Auf diesem Hintergrund hat mir ein aufmerksamer Mensch dieses Büchlein geschenkt und damit für meine positive Einstellung die perfekte Untermauerung geschaffen.

Claus KLEBER schafft es auf knapp 100 Taschenbuchseiten, nicht nur einen Einblick in den spannenden Arbeitsalltag der Redaktion zu vermitteln, sondern ein leidenschaftliches Plädoyer für unabhängigen und aufklärerischen Journalismus und die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft insgesamt zu liefern.

Natürlich wäre KLEBER nicht KLEBER, wenn er das ohne Bezug zu den aktuellen gesellschaftlichen, politischen und medialen Herausforderungen tun würde. Es geht daher zwangsläufig um Trump, um fake-news, um die sozialen Netzwerke und den Einfluss von Macht und Geld auf die Meinungsbildung.
Facebook und Co werden dabei nicht verteufelt – aber auch an deren Beispiel wird überzeugend deutlich gemacht, wie unverzichtbar ein unabhängiger, nur den eigenen Maßstäben verpflichteter Qualitätsjournalismus für eine demokratiekonforme Informationsvermittlung ist.

Zugegebenerweise sind die medien- und gremienpolitischen Feinheiten um die umstritterne Wiederbesetzung des ZDF-Chefredakteur-Posten im Jahre 2009 nicht für jeden Leser ein spannender Stoff. KLEBER macht diesen etwas trockenen Exkurs, um zu demonstrieren, dass zwar auch Deutschland nicht frei von Versuchen politischer Einflussnahme auf öffentliche Medien ist – letztlich aber die Sicherungen und Kontrollen zuverlässig funktioniert haben.
Er macht glaubhaft, dass es in seinem gesamten Berufsleben keinen Versuch gegeben hat, seine journalistische Freiheit einzuschränken oder auch nur zu lenken.

Diese Form von gelebter Pressefreiheit mag uns demokratie- und rechtsstaatverwöhnten Deutschen wie eine pure Selbstverständlichkeit vorkommen, ist aber tatsächlich auf diesem Planeten eine seltene Ausnahmeerscheinung. Wer glaubt, seine Nachrichten genausogut von einem kontrollierten Staatsfernsehen oder von einem ideologisch verpeilten Medienzaren beziehen zu können, sollte vielleicht mal in Russland, China oder in den USA in die Glotze gucken. Und wer ernsthaft meint, dass facebook und twitter einen seriösen und professionellen Journalismus überflüssig machen würde, der spielt mit den Grundlagen unserer Demokratie.

Vielleicht hilft ja ein Blick in dieses kleine Büchlein – nach einer ca. zweistündigen Lesezeit ist man vielleicht überzeugt.

Ich jedenfalls halte unsere öffentlich-rechtlichen Medien für eine große Errungenschaft, die man gegen Zweifel und Angriffe verteidigen sollte.
Genau dies gelingt KLEBER in diesem Buch.

“Warten auf Bojangles” von Olivier BOURDEAUT

Ein kleiner französischer Roman, auf den ich sicher nie gestoßen wäre, wenn er mir nicht von einem lieben Menschen geschenkt worden wäre.
In Frankreich war dieser Debüt-Roman offenbar eine kleine literarische Sensation. Konnte ich das beim Lesen nachvollziehen?

Zunächst einmal führt einen der Autor, der als Ich-Erzähler aus der Sicht eines Kindes schreibt, in eine wirklich ausgefallene Familien-Situation. Es wird ein Paar beschrieben, das ein extrem anti-bürgerliches Leben führt und sich statt an Regeln und Konventionen fast ausschließlich an der Maximierung von Genuss und Lebensfreude orientiert – und dabei vor keiner Ausschweifung Halt macht. Die entscheidende Rolle hat dabei die Frau/Mutter, die ihre Lust an Tanz, Musik und rauschhaften Zuständen in einem sowohl faszinierenden als auch selbstzerstörerischen Umfang auslebt.
Das alles wird sehr liebevoll und mit fast grenzenloser Toleranz beschrieben – denn sowohl der Ehemann als auch das Kind versuchen – solange wie eben möglich – das Bild von einer lebenslustigen und charismatischen Person aufrecht zu erhalten.

Doch wie könnte es anders sein: Irgendwann nehmen die Schattenseiten Überhand und das ach so genussvolle Lebenskonzept entpuppt sich als das, was es eben die ganze Zeit auch schon war: eine Gradwanderung diesseits und vor allem jenseits der Grenze zum Wahnsinn.

Das Lesevergnügen besteht vor allem darin, sich auf das Ausmaß der “positiven Umdeutung” einzulassen, das in dieser Familie aufrecht erhalten wird. So hat man den Eindruck, es geht um die Schilderung von etwas extravaganten “Orginalen” – wo doch das Scheitern und der Untergang schon unübersehbar sind.

Ob wohl der Autor von autobiografischen Erfahrungen berichtet?
Das würde man gerne wissen.

GroKo 2018

Jetzt ist es also soweit: Jeder kann aus vollem Herzen seine Enttäuschung und seinen Frust auskippen über die “doofen” Politiker, die in der Sondierung mal wieder so ziemlich alles falsch gemacht haben. Natürlich bieten sich als Hauptopfer mal wieder die SPD und Martin Schulz an. Immer feste drauf…
Man kennt das jetzt schon seit vielen Monaten, eigentlich schon seit Jahren.

Obwohl ich einen nicht unbeträchtlichen Teil der Enttäuschung und Kritik teile (z.B. am verschobenen Kohleausstieg und an dem Ausbleiben eines höheren Spitzensteuersatzes), so kann ich doch all das aufgeregte Getöse nicht mehr gut ertragen.
Die Frage mag doch erlaubt sein: “Wer könnte es denn unter den gegebenen Umständen wirklich so viel besser?” Muss man den Menschen, die sich da einsetzen, wirklich immer wieder zum Vorwurf machen, dass aufgrund der Machtverhältnisse bestimmte Sachen nicht durchsetzbar sind?
Wie oft will man Schulz noch seine Redeausschnitte vorspielen, in denen er die GroKo ausgeschlossen hat? Welche politische Erkenntnis ist damit verbunden?

Ich hoffe darauf, dass der nachhaltige Nutzen nicht in irgendwelchen Wahlgeschenken liegt, sondern in einer Stärkung Europas. Ich kann mir sowohl Gabriel als auch Schulz als Außenminister vorstellen.

Natürlich fehlen mir die grünen Themen – aber soll ich deshalb jetzt vier Jahre lang so tun, als wären wir mit dieser Regierung dem Untergang geweiht?
Mehr war unter diesen Umständen nicht drin. Wozu bitte jetzt noch die Regierungsbildung scheitern lassen – wie es die Jusos wollen. Mit welchem realistischen Ziel?

Vielleicht bin ich inzwischen – altersbedingt – zu pragmatisch.
Ihr könnt das gerne in euren Kommentaren zum Ausdruck bringen…

“Ikarien” von Uwe TIMM

Ein sehr besonderes Buch – auf das mich ein guter Freund hingewiesen hat.

Ich versuche mal zum Einstieg die Leser-Zielgruppe zu beschreiben:
Die potentiellen Leser sollten insbesondere bereit sein, sich geduldig auf einen eher langsam ablaufenden Prozess der Annäherung und des Verstehens einzulassen. Sie sollten offen sein für indirekte und verschlungene Wege des Erkenntnisgewinns und eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringen – da die Kurven und Umwege nicht immer gut ausgeschildert sind. Man sollte ein wenig schwindelfrei sein, weil der Wechseln zwischen Detailverliebtheit und den ganz großen Grundsatzfragen manchmal sehr plötzlich erfolgt…

Was kann man gewinnen, wenn man diese Ressourcen mitbringt und bereit wäre, sie für diese Buch einzusetzen?

Geboten wird ein ungewöhnlich tiefer  und vielschichtiger Einblick in eine zeitgeschichtlich, politisch und wissenschaftlich spannendes und bedeutsame Fragestellung:
Wie kam es dazu, dass deutsche Wissenschaftler und Mediziner vor und während der Nazi-Zeit sich der Vernichtung “lebensunwerten” Lebens verschrieben haben und unter dem Leitmotiv “Reinhaltung und Optimierung der arischen Rasse” unfassbare Verbrechen begangen haben.

Die Antwort, die das Buch darauf zu geben versucht, besteht nicht etwa in einer systematischen Analyse der nationalsozialistischen Ideologie, sondern in der akribischen Nachzeichnung der Lebensläufe von zwei Freunden. Es geht also um die persönliche, individuelle Perspektive; gesellschaftliche Entwicklungsverläufe werden gespiegelt und somit nachvollziehbar gemacht an Einzelschicksalen.

Dieser schon an sich literarisch anspruchsvoller Ansatz wird vom Autor dann noch in eine komplexe Rahmenhandlung eingewoben: Ein deutschstämmiger US-Offizier bekommt im Rahmen seines Recherche-Auftrags einen ungewöhnlich intimen Kontakt zu einem der beiden Protagonisten, der sich von seinem zum Rassenwahn driftenden Freund zwischendurch abgesetzt hatte. In der Befragung dieses Zeitzeugen entsteht dann nach und nach ein facettenreiches Bild, das über Jahrzehnte von der gemeinsamen Suche nach einer idealen Gesellschaft (am Beispiel einer Modell-Gemeinde in den USA) bis zu den brutalsten Menschenversuchen in Nazi-Kliniken führt.
Zwischendurch werden immer wieder existentielle philosophische und politische Grundsatzfragen thematisiert – manchmal fast beiläufig in einem Bericht über irgendein früheres Gespräch versteckt.
Ganz nebenbei bekommt man auch noch einen  – durchaus auch unterhaltsamen – Einblick in die Versuche der amerikanischen “Siegermacht”, sich einen Einblick in die Denk- und Empfindungswelt des Nazi-Deutschlands zu verschaffen.

Was vielleicht deutlich wird: Es ist ein anspruchsvolles Buch, für das man sich Zeit nehmen muss. Das ist der Grund, warum ich oben zunächst die Zielgruppe umschrieben habe.
Es ist ein Buch, das einen Facette des Nazi-Unrechtssystems auf eine faszinierende Weise beleuchtet und damit einen wahrhaft literarischen Kontrast zu einem historisch-analytischen Zugang schafft.
Dafür wird einem eine gewisse Mühe abverlangt – aber das sagte ich ja schon….

Regierungsbildung in Deutschland

Es ist schon ein bisschen seltsam: Da hatten wir im September eine Bundestagswahl, dann – nach einem sinnlosen Stillstand – Jamaika-Sondierungen, dann deren Scheitern und nun seit einigen Wochen das Vorgeplänkel zu den Verhandlungen über eine nächste GroKo. Und in all diesen bewegenden Wochen, in denen uns die  politischen Themen nur so um die Ohren flogen, setzte ich mich nicht ein einziges Mal hin und pflegte meinen Blog.

Was war/ist los?

Meine Passivität ist kein Hinweis darauf, dass mir das Interesse an Politik plötzlich verloren gegangen wäre. Im Gegenteil: Ich habe fleißig Print- und Webmedien konsumiert und gefühlte 45 Talkshows zum Thema über mich ergehen lassen.
Das Ergebnis dieser Flut von Informationen und Meinungen war eine Art Lähmung des Denkens, Meinens und Schreibens. So als ob die ganzen widersprüchlichen Perspektiven und Facetten sich gegenseitig neutralisiert hätten und irgendwann zu einem zähen und farblosen Brei von Ratlosigkeit, Überdruss und Resignation kondensiert wären.

Dabei hatte ich mich relativ schnell mit der Jamaika-Perspektive angefreundet – bot diese doch die Chance, an ein paar Stellen mehr zu bewegen als dies bei den eher trägen „Groß-Parteien“ zu erwarten gewesen wäre. Meine Hoffnungen lagen (natürlich) bei den zukunftsrelevanten Themen der GRÜNEN: Klimapolitik und ökologische Landwirtschaft. Hoch erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass es den Vertretern der GRÜNEN offenbar gelang, auf der inhaltlichen und der Umgangs-Ebene zu überzeugen und die ihnen zugedachte Störer- und Exotenrolle elegant zu umschiffen.

Das Scheitern dieses Projektes war daher für mich eine frustrierende Erfahrung. Alles, was darauf folgte, hat dieses Gefühl von Unbehagen noch verstärkt.

Wer jetzt erwartet, ich würde die ganze Häme über den Kurswechsel der SPD und ihres „unfähigen“ Vorsitzenden hier nochmal aufwärmen, den muss ich enttäuschen. Mich beschäftigt ein ganz anderes Gefühl: Ich bin zunehmend genervt von der Dramatisierung und Skandalisierung, die sich in die Betrachtung und Bewertung der aktuellen politischen Situation breit gemacht hat. Ich kann es immer weniger ertragen, wenn irgendwelche Politiker oder Journalisten (oder gar irgendwelche Spinner im Internet) mal wieder kundtun, wie absolut unakzeptabel oder extrem gefährlich doch die eine oder andere Variante sei. Wie unfassbar schlimm doch so ein Positionswechsel einer Partei oder wie absolut notwendig doch der sofortige Rücktritt von Führungspersönlichkeiten sei.

Es wird so immer stärker ein Klima erzeugt, in dem Unsicherheiten, Fehleinschätzungen oder ein vorübergehendes Formtief unerbittlich seziert, aufgebauscht und als unverzeihlich definiert werden. Nach dem Motto: „Es gab Schwächen? Weg mit dem Kerl! Wir bauen eine neue Kunstfigur auf, um sie bei passender Gelegenheit wieder umso genüsslicher zur Strecke zu bringen und vor laufenden Kameras zu zerfleischen!“

Dahinter steckt nicht nur eine menschenverachtende Tendenz zur „Quote durch Vernichtung“, sondern auch der Irrglaube, dass uns ja beliebig viele kompetente und engagierte Ersatzpolitiker zur Verfügung ständen (als ob diese auf Bäumen wachsen würden).

Ein gutes Beispiel findet sich wiederum in der SPD: Wie lange hatte man sich auf den so „bollerigen“ Sigmar Gabriel eingeschossen und wie erleichtert waren die Medien, als er endlich das Handtuch warf. „Mal wieder geschafft!“ Seltsamere Weise entpuppte sich dieser so vermeintlich unbeherrschte Gabriel kurze Zeit später – sozusagen aus dem Stand heraus – als überaus kompetenter Chef-Diplomat, der seine Arbeit jetzt schon viele Monate fehlerfrei und souverän macht. Hat man schon mal irgendwo davon gelesen oder gehört, dass man da vielleicht vorher ein wenig übertrieben hatte? Dass es mal wieder hauptsächlich darum ging, jemanden zu demontieren?

Keine Sorge! Ich schimpfe hier nicht über irgendeine „Lügenpresse“. Ich bin froh, dass es in Deutschland so eine niveauvolle Presselandschaft und die öffentlich-rechtlichen Medien gibt. Aber ich bin es leid, auch bzgl. der jetzt anstehenden Regierungsbildung immer wieder zu hören und zu lesen, dass ein bestimmter Weg fast sicher in irgendein Verderben führe. Auch eine nächste GroKo wird unser Land und die beteiligten Parteien nicht gleich in den Abgrund führen – es sei denn, man lässt nicht davon ab, genau das herbeizureden und zu schreiben.

Für das Thema Europa könnte sogar eine Menge dabei herauskommen. Allerdings wäre es ein unverzeihliches Versäumnis, wenn die notwendigen Umsteuerungen in der Energie- und Umweltpolitik nur deshalb unterbleiben würden, weil die GRÜNEN jetzt diese Schritte nicht mehr erzwingen können. Wer im Jahre 2017, auf der Basis gut gefüllter Steuerkassen, die Einhaltung der Klimaziele von Arbeitsplätzen und den Profiten einiger Energiekonzerne abhängig macht, der stellt – wider besseres Wissen – die Zukunft aufs Spiel; die ökologische und die ökonomische Zukunft.