“The Secret of Secrets” von Dan BROWN

Bewertung: 3.5 von 5.

Wenn einer der weltweit erfolgreichsten Thriller-Autoren auf das Geheimnis aller Geheimnisse stößt, dann muss es schon um etwas Fundamentales gehen.
Das menschliche Bewusstsein, seine Beschaffenheit, seine Grenzen und seine – eventuelle – Beständigkeit bietet sich da ohne Zweifel an.

Der Autor schickt seine bewährte Zentralfigur (den Symbolforscher Robert Langdon) zusammen mit der aktuellen Protagonistin (der Neurowissenschaftlerin Katherine Solomon) auf einen irrwitzige 24-stündigen Parforceritt durch das geschichtsträchtige Prag der Gegenwart. Der extreme Kontrast zwischen den historischen Schauplätzen und Mythen auf der einen – und modernster Bewusstseinsforschung auf der anderen Seite -schafft eine der Grundlagen für die Dynamik des Plots.

Es geht vordergründig um ein Buch-Manuskript, für das sich auch die CIA interessiert. Der Grund dafür tritt ausgerechnet in dem Moment an die Oberfläche, an dem sich die Autorin an dem Ort eines geheimen und problematischen Forschungsprojektes aufhält.
In die sich überstürzenden Ereignisse sind auch die US-Botschafterin und einige ihrer Mitarbeiter verwickelt. Auch die Opfer einiger Experimente lernen wir kennen, ebenso den örtlich zuständigen Geheimdienst.
Man kann sich bei Thriller-Profi BROWN darauf verlassen, dass die diversen Handlungsstränge kunstvoll miteinander verwoben werden…

Kommen wir also zum Geheimnis selbst: Letztlich stellt der Roman die sehr grundlegende Frage, ob es ausreichende Anhaltspunkte dafür geben könnte, die bisherigen neurowissenschaftlichen Konzepte und Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen unseren Gehirnfunktionen und unserem Ich-Bewusstsein in Frage zu stellen.
Katherine, die ihr Forschungsinteresse zunehmend den Randphänomenen (Nahtoderfahrungen, Parapsychologie, Präkognitionen, Dissoziationsstörungen, usw.) gewidmet hat, zieht sehr weitgehende Schlussfolgerungen, die den wissenschaftlichen Mainstream weit hinter sich lassen (so vermutet sie den Sitz des Bewusstseins außerhalb unserer Gehirne).

Dan BROWN nimmt auch in diesem Roman für sich in Anspruch, sich mit seiner Story dicht an der realen Faktenlage (dem aktuellen Forschungsstand) entlang zu hangeln. Das lässt sich über weite Strecken auch nachvollziehen.
Und doch ist eine Parteinahme für die spekulativen, letztlich auch mystisch-esoterischen Hypothesen deutlich spürbar: Sie zeigt sich in der zunehmenden Überzeugung des zunächst skeptischen Robert, dass Katherine mit ihrer alternativen Weltsicht auf der richtigen Spur ist.

So stellt sich in der Gesamtbewertung die Frage, was bei einem auf spannende Unterhaltung angelegten Roman in das Urteil einfließen sollte.
Wenn ein Sachthema eine so zentrale Rolle spielt wie in diesem Roman und die etablierte Wissenschaft in der Darstellung immer stärker ins Hintertreffen gerät, kann das m.E. nicht übergangen werden. Tatsächlich wird in diesem Buch der Eindruck erweckt, als ob die etablierte Neurowissenschaft – trotz massiver gegenteiliger Belege – mehr oder weniger krampfhaft an Konzepten festhalten würde, die schon längst widerlegt worden wären.
Dabei werden reale neurophysiologische Erkenntnisse (z.B. über die Wirkung bestimmter Botenstoffe) so raffiniert mit extrem spekulativen Konzepten vermischt, dass eine fachlich unkundige Leserschaft keine Chance hat, den Übergang zu erkennen.
Hier könnte man mit gutem Grund die Grenze zur Manipulation als überschritten sehen.

Der Erfolg dieses Romans ist gesichert – die Qualitäten des Autors als Erzähler historisch eingebetteter Spannungsgeschichten steht ja außer Zweifel. Wie man hört, sind die Filmrechte schon vergeben.
Es erscheint daher um so bedauerlicher, dass sich BROWN in einer so grundlegenden Frage eher wissenschafts-skeptisch positioniert und die Nähe zu esoterischen Weltsichten in kauf nimmt.

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“Wie wir werden, wer wir sind” von Joachim BAUER

Bewertung: 3.5 von 5.

Das Buch hat bei mir widersprüchliche Reaktionen ausgelöst. Das liegt daran, dass es gleichzeitig informativ und wichtig ist, auf der anderen Seite aber auch etwas irritiert.

Die Zielsetzung des Autors ist nicht nur lohnenswert, sondern wird mit diesem Schachbuch auch tatsächlich auch eingelöst: Dem Mediziner, Neurowissenschaftler und Psychotherapeut BAUER, der sowohl praktisch als auch in der Lehre in prägenden Funktionen tätig war, gelingt es ohne Zweifel hervorragend, einem interessierten Laienpublikum die existentielle Bedeutung sozialer Interaktion als Grundlage für die menschliche Selbst-Entwicklung zu vermitteln.
Er tut dies in einer gut verständlichen Sprache, in der gleichzeitig detaillierte Information und die Botschaft des Autors Raum finden. BAUER hat ein Buch verfasst, das sich an ein breiteres Sachbuchpublikum wendet, ohne sich aber eines typisch wissenschaftsjournalistischen Schreibstils zu bedienen.

BAUER analysiert und schildert die die Prozesse von Spiegelung, Resonanz, feinfühliger Begleitung und externer Regulation von Erregung und Emotion auf der einen Seite mit einer bemerkenswerten wissenschaftlichen Akribie. Er zeigt sich dabei aber keineswegs als neutraler Beobachter bzw. Protokollant der komplexen Interaktion zwischen Säugling/Kelinkind und seinen Bezugspersonen. Vielmehr wird – gefühlt – in jedem zweiten Satz deutlich, welche Bedeutung dieses Geschehen für den Autor auch ganz persönlich hat: Er scheint geradezu erfüllt zu sein von diesem Geschehen; man spürt das die Vermittlung seiner Erkenntnisse für ihn den Charakter einer Mission hat.
Die grundlegenden Prozesse werden dabei – durchaus wortgewandt und plastisch – so häufig dargestellt, dass sich alsbald eine gewisse Redundanz einstellt.

Eine Spur “Überengagement” wird auch in der Tendenz zu gefühlsgeladenen Formulierungen deutlich. Die Abgrenzung zu theoretischen oder therapeutischen Ansätzen, die der Autor als nicht kindzentriert genug beurteilt, fällt extrem harsch aus.
(So wird dem – eindeutig humanistisch orientierten – Evolutionsforscher DAWKINS gleich eine Neigung zur schwarzen Pädagogik unterstellt, nur weil dieser von “egoistischen” Motiven bei kleinen Kindern spricht).

Problematischer ist jedoch ein anderer Punkt: Während die von BAUER benutzte zentrale Begrifflichkeit von dem “Selbst” bzw. dem “Selbstsystem” zunächst als hilfreich für das Verständnis erlebt werden kann, bekommt diese Bezeichnung im Laufe des Textes ein deutlich überzogenes Eigenleben. BAUER formuliert immer wieder so, als ob dieses “Selbst” eine irgendwie selbständige Instanz wäre, die mit anderen Bereichen des Körpers und des Gehirns in einem Austausch stände. Diese Sichtweise erinnert ein wenig an die psychoanalytischen Konzepte vom ES oder ÜBER-ICH, bei denen oft vergessen wurde, dass es sich nicht um reale Entitäten, sondern um sprachliche Konzepte bzw. Metaphern handelte. Vermutlich ist es in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass BAUER tatsächlich auch psychodynamisch ausgebildet ist.

So ergibt sich insgesamt ein etwas zwiespältiges Bild: Da ist auf der einen Seite ein überzeugendes Buch, das auf der Basis zahlreicher wissenschaftlicher Belege und mit großem und authentischen Engagement dafür wirbt, Kindern in den ersten Lebensjahren genau die intensiven und feinfühligen sozialen Erfahrungen zu ermöglichen, die diese für die Entwicklung einer gesunden, gemeinschaftsfähigen und selbstbewussten Persönlichkeit existenziell benötigen.
Und da gibt es die Stellen, in der der Autor über das Ziel hinausschießt und Gegner dort sieht, wo es vielleicht nur um ergänzende Perspektiven geht. Und BAUER ist so identifiziert mit seiner sozialen Selbst-Theorie, dass er letztlich sein neurowissenschaftliches Basiswissen aus den Augen verliert: Das Selbst ist nämlich kein eigenständiger Akteur, der irgendwie mit eigener Motivation auf das Gehirn einwirken könnte. Das Selbst ist ein unscharfer Begriff für bestimmte Funktionen und Prozesse, die durch die kombinierte Aktivierung bestimmter neuronaler Netzwerke in bestimmten Hirnarealen gebildet wird.
Man kann das natürlich sprachlich vereinfachen, und muss das vermutlich auch. Nur sollte man zumindest einmal auf diesen Umstand hinweisen.

Unabhängig von dieser kleinen Einschränkung: Die Botschaft des Buches ist wichtig – und sie kommt an!

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“Deutschland misshandelt seine Kinder” von Michael TSOKOS und Saskia GUDDAT

Bewertung: 4.5 von 5.

Zehn Jahre nach seiner Erstveröffentlichung hat dieses Buch nichts an Relevanz verloren – im Gegenteil. Was 2014 in Fachkreisen für Aufsehen sorgte, ist inzwischen ein Standardwerk im Bereich des Kinderschutzes geworden. Und es lohnt sich, den Text erneut zur Hand zu nehmen – gerade vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen über Kindeswohl und institutionelles Versagen.

Die Autoren – beide erfahrene Rechtsmediziner – schildern eindringlich, wie klar und eindeutig sich Misshandlungsfälle aus rechtsmedizinischer Sicht meist bewerten lassen. Die Analyse körperlicher Verletzungen erlaubt eindeutige Rückschlüsse auf die Ursachen – deutlich objektiver als jede Einschätzung psychischer oder emotionaler Schädigungen. TSOKOS und GUDDAT liefern dazu zahlreiche Fallbeispiele, die erschüttern. Die Autoren ersparen dabei ihrer Leserschaft auch drastische Einzelheiten nicht.

Doch das Buch ist weit mehr als ein rechtsmedizinisches Fachprotokoll. Es ist eine schonungslose Systemanalyse – und eine Anklage. Die Autoren zeichnen das Bild eines Kinderschutzes, der an seinen eigenen Strukturen scheitert: Elternrechte werden häufig höher gewichtet als Kindeswohl, überforderte Jugendämter delegieren Verantwortung an freie Träger, deren wirtschaftliches Überleben von Wohlwollen und Auftragsvergabe derselben Behörden abhängt. Oft besonders jungen und unerfahrenen Familienhelfer unterliegen ihrerseits dem (inneren und äußerem) Druck, die eigene Arbeit als sinnvoll und erfolgreich zu bewerten. Es entsteht eine problematische Gemengelage gegenseitiger Beschönigung und Rücksichtnahme, in der gefährdete Kinder allzu oft durch das Raster fallen – mit teilweise tödlichen Folgen.

Besonders kritisch fällt das Urteil über die juristische Praxis aus: Familienrichter urteilen regelmäßig ohne spezialisierte Fortbildung zum Thema Kindeswohlgefährdung. Die Expertise von Rechtsmedizinern wird dabei mitunter weniger ernst genommen als die Beteuerungen der beschuldigten Eltern. Strafrechtlich enden viele Verfahren mit Freisprüchen, weil sich keine eindeutige Täterschaft nachweisen lässt – auch dann, wenn feststeht, dass ein Kind durch eines der Elternteile massiver Gewalt ausgesetzt war.

Der Vorwurf, das Buch arbeite mit extremen Einzelfällen, wird von den Autoren nicht nur thematisiert, sondern mit klaren Zahlen und Quellen gekontert. Die Dunkelziffer der betroffenen Kinder sei hoch – deutlich höher, als Öffentlichkeit und Politik wahrhaben wollen. TSOKOS und GUDDAT fordern daher eine konsequente Parteinahme für die Kinder: nicht durch Dämonisierung der Täter, sondern durch eine klare Priorisierung von Kinderrechten vor Elternrechten. Dazu gehört auch, dass Misshandlungsopfer nicht gegen ihren Willen erneut Kontakt zu ihren Peinigern aufnehmen müssen.

Was bleibt, ist ein leidenschaftlicher Appell an Politik, Justiz und Praxis: Kinderschutz braucht verbindliche Standards, mehr Qualifikation, angemessene Bezahlung, bessere rechtliche Rahmenbedingungen – und eine Haltung, die sich traut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Dabei müssten auch die kinderärztlichen Praxen eine deutlich konsequentere Rolle spielen. Die Vermittlung von rechtsmedizinischem Basiswissen fordern die Autoren für alle relevanten Berufsgruppen.

In einem Punkt unterschätzen die Autoren vermutlich sogar die Schwächen des Kinderschutzsystems: Oft sind es die internen Strukturen innerhalb der Jugendhilfe, durch die aus finanziellem Druck letztlich die Maßnahmen verhindert werden, die von den fallverantwortlichen Fachkräften “eigentlich” für notwendig erachtet werden.

Das Buch sollte eine Pflichtlektüre für alle sein, die im sozialen, medizinischen oder juristischen Bereich mit Familien arbeiten – unbequem, erschütternd und ganz sicher immer noch notwendig.
Dass die ein oder andere Formulierung – für sich betrachtet – auch als überzogen dramatisch bewertet werden könnte, sollte dem bewundernswerten Engagement der Autoren zugerechnet werden.

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