“Der Mensch im Tier” von Norbert SACHSER

Bewertung: 5 von 5.

Manchmal begegnet man einem Buch, bei dem man als Rezensent eigentlich nur eines möchte: Fünf Sterne zücken und den Rest sich sparen. Norbert SACHSERs Werk “Der Mensch im Tier” ist genau so ein Fall. Es liefert eine beeindruckend umfassende und dabei wunderbar zugängliche Darstellung der verhaltensbiologischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte – ohne akademische Hürden, aber auch ohne oberflächliche Vereinfachungen.

SACHSER gelingt hier ein Glanzstück des Wissenschaftsjournalismus: gut strukturiert, detailreich und mit einem Tiefgang, der nie ins Spezialistentum abgleitet. Stattdessen nimmt er seine Leserschaft mit auf eine Reise durch die Tierwelt, bei der sich altbekannte Vorstellungen Schritt für Schritt als überholt erweisen. Tiere, das wird hier deutlich, sind weitaus kompetenter, komplexer und – ja – auch individueller, als es noch vor wenigen Jahrzehnten selbst in Fachkreisen angenommen wurde.

Ob es um Problemlösen, Werkzeuggebrauch, Denkprozesse, Kommunikation oder moralische Intuitionen geht – SACHSER zeigt anhand zahlreicher Beispiele, wie sehr sich das Bild von unseren tierischen Mitgeschöpfen gewandelt hat. Dabei ist besonders faszinierend, dass diese Fähigkeiten nicht nur bei den “üblichen Verdächtigen”, also höheren Säugetieren oder Primaten, beobachtet wurden, sondern auch in der Vogelwelt – deren Intelligenz auf einem evolutionär ganz anderen Weg entstanden ist. Die Vorstellung, dass die Natur verschiedene Pfade zur Intelligenz eingeschlagen hat, ist nicht nur spannend, sondern auch erkenntnistechnisch revolutionär.

Das Buch ist reich an Beispielen für verblüffendes Tierverhalten und die kreativen Methoden, mit denen diese wissenschaftlich untersucht werden. Und erfreulicherweise verzichtet der Autor auf Selbstdarstellung oder biografische Abschweifungen – hier steht der Forschungsstand im Mittelpunkt, nicht der Forscher.

Kurz: Der Mensch im Tier ist ein vorbildlich geschriebenes Sachbuch, das man nicht nur mit Gewinn liest, sondern gerne auch ein zweites Mal aufschlägt. Für alle, die sich für Evolution, Biologie und die großen Fragen nach dem, was uns wirklich von anderen Tieren unterscheidet – oder mit ihnen verbindet –, ist dieses Buch ein echter Volltreffer.

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“Die Vermessung unserer Gefühle” von Dr. Jesus MARTIN-FERNANDEZ”

Bewertung: 4 von 5.

Wie viel kann man aus einem geöffneten Gehirn über den Menschen erfahren? Eine ganze Menge – zumindest, wenn man dem jungen, engagierten Neurochirurgen Jesus MARTIN-FERNANDEZ folgt, der mit seinem Buch nicht nur einen faszinierenden Einblick in die moderne Gehirnchirurgie gibt, sondern auch ein leidenschaftliches Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der neurologischen Medizin formuliert. Dabei geht es ihm nicht nur um den Fortschritt in der praktischen Arbeit, sondern um nicht weniger als ein erweitertes Verständnis des komplexesten Zellhaufens, den die Evolution auf diesem Planeten jemals hervorgebracht hat.

In klarer, auch für Laien verständlicher Sprache schildert er eine hochspezialisierte OP-Technik, bei der Patienten während der Tumorentfernung wach bleiben. Elektrische Reize, kognitive Aufgaben, Bewegungsübungen und emotionale Erkennungstests – das OP-Team beobachtet dabei, wie das Gehirn auf Stimulationen reagiert, um jene Regionen zu identifizieren, die für essentielle Funktionen zuständig sind. Nur was keine kritischen Ausfälle provoziert, wird entfernt – auch wenn Tumorreste verbleiben müssen. Der Gewinn an Lebensqualität ist beachtlich.

Diese „funktionelle Kartografie“ widerspricht dem klassischen Bild lokalisierter Funktionszentren. Martin-Fernandez stellt diesem überkommenen Konzept ein neues, dynamisches Verständnis entgegen, das er anhand zahlreicher Fallbeispiele eindrücklich belegt. Dabei gelingt ihm der Spagat zwischen wissenschaftlicher Präzision und erzählerischer Zugänglichkeit – ein echtes Lehrstück für Wissenschaftskommunikation.

Doch das Buch ist mehr als ein medizinischer Erfahrungsbericht. Es ist auch das Selbstporträt eines jungen Arztes, der von einer Idee und einer Mission getrieben ist – und dem es gelungen ist, in wenigen Jahren zu einer international gefragten Kapazität seines Fachs zu werden. Martin-Fernandez gewährt intime Einblicke in seine berufliche Entwicklung, seine internationalen Konferenzerfahrungen und die Belastungen des Klinikalltags. Seine Aufzeichnungen – von ihm selbst mehrfach Tagebuch genannt – wurden oft geschrieben in Momenten größter Erschöpfung nach stundenlangen Operationen oder Fachvorträgen – und wirken dadurch direkter und authentischer als ein Schreibtisch-Text.

Diese Intensität seines beruflichen Engagements allein wäre schon bemerkenswert. Doch Martin-Fernandez überrascht noch mit einer weiteren Facette: Parallel zu seiner Karriere in der Medizin absolviert er eine Ausbildung zum Dirigenten, produziert musikalische Werke für Opernaufführungen. Auch hier ist Perfektion sein Maßstab, Kreativität sein Antrieb. Es entsteht das Porträt eines Menschen, der mit kaum versiegender Energies zwischen Wissenschaft und Kunst pendelt – hochintelligent, hochkreativ, hochproduktiv.

Allerdings hat dieser Tagebuchcharakter auch seinen Preis. Die Begeisterung des Autors für seine Tätigkeit ist so überbordend, dass zentrale Thesen und Prinzipien in einem Maße wiederholt werden, das mitunter auch den gutwilligsten Leser nerven wird. Bereits nach dem ersten Drittel des Buches hat man das Gefühl, die Kernaussagen auswendig zu kennen. Hier hätte ein Lektorat straffer eingreifen können – oder sollen.
Überhaupt: Der Autor kratzt immer wieder mal an der Grenze zum “too much” – es ist eben ein sehr persönliches Werk – kein neutrales Sachbuch. Und der Autor selbst steht immer wieder im Zentrum der Betrachtungen.

Doch bei aller Kritik fällt es schwer, dem Autor daraus ernsthaft einen Vorwurf zu machen. Denn immer wieder öffnet er dem Leser emotionale Räume, spricht respektvoll und fast zärtlich über seine Patienten und seine Helfer im OP-Team. Seinen wissenschaftlichen Widersachern (Vertretern der fest lokalisierten Gehirnzentren) begegnet er mit Respekt – allerdings auch mit der Überzeugung, den wissenschaftlichen Fortschritt auf seiner Seite zu wissen. Auch die Hochachtung, die er seinem Mentor entgegenbringt, verleiht dem Text eine besondere menschliche Tiefe.

Am Ende bleibt ein Buch, das eine ungewöhnliche Mischung bietet – aus wissenschaftlicher Innovation, persönlicher Leidenschaft und intensiver Selbstreflexion. Wer bereit ist, die wirklich ausgeprägte Redundanz zu ertragen, wird mit einem Leseerlebnis über „menschliche Medizin“ belohnt, das sowohl informiert, intellektuell stimuliert als auch emotional berührt.


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“Das Ministerium der Zeit” von Kaliane BRADLEY

Bewertung: 3.5 von 5.

Zeitreisen waren schon immer ein dankbares Szenario für alle Arten von Zukunftsromanen. Immer wieder reizten – neben den technischen Visionen – auch die hochphilosophischen Spekulationen darüber, ob man durch Interventionen in der Vergangenheit Einfluss auf die Gegenwart nehmen könnte.

BRADLEY wählt einen recht individuellen und kreativen Weg in die Thematik:
Sie konstruiert einen Plot, in dem eine junge Frau (die Ich-Erzählerin) als Angestellte einer britischen Regierungsbehörde die Aufgabe hat, einen Zeitreisenden (den Polarforscher Graham Gore) eine Weile zu betreuen. Zusammen mit einigen anderen Personen (aus anderen historischen Epochen) wurde er unfreiwillig Versuchsperson in einem einmaligen Geheim-Experiment.
Aus dem Jahre 1847 wird Graham in das London des 21. Jahrhunderts katapultiert und bekommt – neben einer offiziellen fachlichen Behandlung – eine private Alltagsbegleitung. Die Protagonistin dieses Romans ist diese “Brücke” (zwischen dem im 19. Jahrhundert geprägten Offizier und der Moderne).

Der Roman wird auf der einen Seite durch einen Handlungsstrang getragen, in dem sich die Vorgänge in der staatlichen Behörde und zwischen den Zeitreisenden und ihren Begleitern in einer zunehmend komplexen Form kreuzen und schließlich heftig eskalieren.
In wie weit diese ganzen Entwicklungen inhaltlich und logisch überzeugend sind, soll hier nicht weiter kommentiert werden. Zweifel sind aber angebracht…

Der eigentliche Reiz des für diese Story gewählten Kontextes liegt aber auf einer anderen Ebene (und soll wohl dort auch liegen): Die Autorin interessiert sich für die psychologische und emotionale Dynamik, die sich bei den Zeitreisenden selbst und zwischen ihnen und ihren (sehr privaten) Betreuern abspielt.
Was bedeutet es wirklich – so fragt man sich auch als Leser/in – von einem Moment zum anderen in eine völlig andere historische Wirklichkeit zu geraten – und dort so ziemlich alle Selbstverständlichkeiten zu verlieren, die das bisherige Leben und damit auch die eigene Identität getragen haben?

Die Vorfreude auf die Schilderung einer solchen extremen Irritation und auf die Beschreibung der kaum zu überschätzenden Herausforderung an die Anpassungsleistungen eines psychischen Systems – diese Erwartung wird nur in geringem Umfang erfüllt. Man gewinnt sehr schnell den Verdacht, dass die Vorstellungskraft und/oder die sprachlichen Möglichkeiten der Autorin einfach nicht ausreichen, um wirklich nachvollziehbar zu machen, wie tief der innere Graben zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Fühlen und Denken von Graham ist.
So bleiben – bei allen vorhandenen Ansätzen – die Fragen nach seinem inneren Erleben weitgehend offen: Der Bruch mit dem gelebten Sein bzw. die Integration der neuen Erfahrungen gelingt dem Zeitreisenden erstaunlich schnell. Und natürlich bezieht sich diese Eingewöhnung letztlich auch auf die ganz persönliche Beziehung zwischen Graham und seiner “Brücke”.

So ganz überzeugend ist dieser Roman also auf beiden Analyseebenen nicht.
Das ist insbesondere deshalb ein wenig schade, weil die Grundidee wirklich eine Menge Potential in sich trägt.
Das könnte auch ein Grund dafür sein, sich dem Buch – trotz seiner Schwächen – mit Interesse zuzuwenden: Er verschafft eine Menge Anlass, sich selbst Gedanken über diese extrem ungewöhnliche Situation zu machen. Was spricht dagegen, auch solche Wege weiterzudenken, die von der Autorin nicht gegangen werden?

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“Wie KI dein Leben besser macht” von Franz HIMPSL und Dirk von GEHLEN

Bewertung: 3.5 von 5.

Manchmal stellt sich bei einer Buchbesprechung die Aufgabe, über die – durchaus vorhandenen – Qualitäten eines Buches schreiben zu müssen, das bei einem selbst eher Enttäuschung hervorgerufen hat.
Das KI-Buch von HIMPSEL/von GEHLEN ist dafür ein Beispiel.

Fangen wir mit den Enttäuschungen an:
Für meinen Geschmack verfehlt dieses Buch, das zum “Ausprobieren und Weiterdenken” anregen soll, das Gleichgewicht zwischen allgemeinen, eher abstrakten Betrachtungen auf der einen – und den “50 klugen Impulsen zu den praktischen Potentialen von KI” auf der anderen Seite.
Anders formuliert: Für Leser, die wirklich ins Tun kommen wollen, wird erheblich zu viel über KI geplaudert und erheblich zu wenig konkrete Anleitung gegeben. So dauert es z.B. geschlagene 40 Seiten, bis der erste praktische Tipp spendiert wird: Man solle beim “Prompten” am besten selbst ausprobieren und experimentieren.
Für den ein oder anderen mag das an dieser Stelle schon ein wenig die Geduld strapaziert haben – für ein doch recht dürftiges Ergebnis…

Die insgesamt 50 Kurz-Kapitel spannen einen weiten Schirm auf, unter dem sich ganz unterschiedliche Aspekte von KI-Anwendungen versammeln können. Diese Perspektiv-Vielfalt ist erstmal vielversprechend. Gelegentlich zweifelt man aber schon an der thematischen Stringenz, wenn man sich plötzlich einer Kurzeinführung in das Konzept der “Emotionalen Intelligenz” ausgesetzt sieht oder man mit der erstaunlichen Erkenntnis konfrontiert wird, das Schreiben dabei hilft, unsere Gedanken zu strukturieren.

Und die Stärken des Buches?
Das Buch bietet einen (extrem) niederschwelligen Zugang zur Welt der Künstlichen Intelligenz. Es wurde offenbar für Menschen geschrieben, die noch ein wenig unentschieden hinsichtlich der Frage sind, ob sich eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema auch für sie lohnen könnte. Die Heranführung an den technischen Aspekt der KI wird geradezu in homöopathischer Dosierung verabreicht. Nach dem Motto: Bloß keine Widerstände wecken, sonst wird das Buch vielleicht sofort entsorgt!
Die Annäherung an KI erfolgt eindeutig aus einer kultur- bzw. geisteswissenschaftlichen Perspektive: Erstmal vorsichtig das Umfeld erkunden, einen kontextuellen Rahmen schaffen, Ängste abbauen. Dann in ganz kleinen Schritten anfangen…
Und siehe da: Es tut überhaupt nicht weh!
Man könnte diese Herangehensweise als eine Art “Systematische Desensibilisierung” für potentielle KI-Phobiker betrachten: Wenn man so nett und harmlos über seine Sache schwadronieren kann, dann kann es so schlimm nicht werden.

Ja, es gibt auch auch auf der praktischen Ebene ein paar interessante Anregungen. Hier lugt dann das Vorhaben der Autoren um die Ecke, den Alltagsbezug der KI auch für Anfänger fassbar und nachvollziehbar zu machen.
So kann man z.B.:
– die gleiche Frage mehrfach dem gleichen oder parallel verschiedenen Chatbots stellen,
– einen Chatbot als Sparring-Partner bei kontroversen Fragen nutzen,
– mit wenig Aufwand spezialisierte Chatbots für individuelle Zwecke bauen,
– Texte zusammenfassen, strukturieren oder sich vorlesen lassen,
– sich durch spezielle Tools seine Stimme klonen lassen oder aus seinen Texten kleine Podcasts herstellen lassen,
– usw.
Vermutlich schaffen es die Autoren mit diesen insgesamt 50 Angeboten, bei jedem Leser bzw. jeder Leserin irgendwo anzudocken.

Und das Resümee:
HIMPSL und von GEHLEN haben einen gefälligen und unterhaltsamen Hemmschwellen-Abbauer für das Thema der Stunde geschrieben. Die dafür passende Zielgruppe lässt sich schnell definieren. Anzumerken bleibt aber auch hier, dass die Autoren auf dem Weg zur praktischen Umsetzung keine Hilfen – in Form von konkreten Anleitungen – bereitstellen. Die Vorbereitung findet eher auf der Ebene von Haltungen und Motivation statt – nicht auf der (technischen) Handlungsebene.
Für Menschen, die schon eine Weile in der KI-Welt unterwegs sind, eignet sich dieses Buch ganz eindeutig nicht.

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